: Zaire und der Papst für FAO
Rom lebt im Belagerungszustand während der Welternährungskonferenz. Berichtet wird über Katastrophen, die guten Vorsätze sind im Verschwinden ■ Aus Rom Werner Raith
Ob er sich über den Rummel freuen oder ärgern soll, das hat Beppe Antinori noch nicht so genau herausgebracht: Als Taxifahrer freut er sich zunächst einmal über die „einmalig freien Pisten zum Durchsausen“ – mehr als vier Quadratkilometer Fläche hat die Polizei für die vier Tage Gipfeltreffen der Weltagrarorganisation FAO gesperrt, bis weit hinaus über die Caracallathermen im Süden, wo das Zentralgebäude der Organisation liegt. Als schaulustiger Römer fühlt er sich privilegiert, „wie viele Mächtige dieser Erde so ein kleines Kirchenlicht wie ich transportieren darf“.
Als Bürger Roms hat er dann allerdings seine Probleme – am Abend, als die gesamte Familie den Geburtstag seines Schwagers in Trastevere feiern wollte, mit eigens eingeladenem Balladensänger, da „kamen alle zwei Stunden zu spät, weil sie zu Fuß durch mußten“.
Um so eifriger hat Beppe sich inzwischen kundig gemacht, „wie hier die Fraktionen zueinander stehen“, und leider hat das manch schmerzhaftes Lehrgeld gekostet. „Da sind jene, die schon die Frage, was man gegen den Hunger tun soll, als aufdringlich empfinden, weil sie unser Wohlleben hier als Hohn empfinden“, trotzdem „geben die dann die besten Trinkgelder“. Umgekehrt hat er sich bei einem koreanischen Delegationsmitglied mit einem unbedachten Wort über die Gefahren der Gentechnologie so unbeliebt gemacht hat, daß der sich am Ende zu zahlen geweigert hat – und als Beppe die Polizei holte, „ließen die den Kerl auch noch laufen“.
Seitdem kategorisiert Beppe die Fahrgäste in jene beiden Typen, die ihm auch die Presse als unversönliche Fraktionen präsentiert – jene, die auf der Welt genug Nahrungsmittel vermuten, um alle sechs Milliarden Einwohner gut zu ernähren, und die deshalb lediglich ein Verteilungsproblem erkennen, und jene, die nicht an genügend Vorräte glauben und daher mit Gentechnik den Hunger bekämpfen wollen.
Doch „im Grunde unterhalten sich die Leute, soweit ich sie verstehe, wenn sie im Fond miteinander reden, sowieso über ganz andere Dinge“. Das Thema ist Ruanda-Zaire. Die Massenflucht und das Massensterben in den beiden afrikanischen Staaten dominiert die Diskussionen derart, daß man kaum mehr die eigentlich vorgesehenen Themen erkennen kann. „Die verlieren sich jetzt in Appellen, was man sofort, gleich und schon gestern tun muß“, meint Beppe sarkastisch, „und dann fahren sie heim.“ Er kennt das gut, auch die italienische Politik funktioniere so, große Sprüche, und schon sind die wirklichen Probleme wie Haushaltslöcher, die Zerstörung des sozialen Netzes und die Korruption weggedrängt.
Und wenn nicht alle Zeichen trügen, kommt das vielen der Delegationen sogar entgegen. „Gestern habe ich einen aus Japan gefahren, der hat gesagt, daß diese Resolution keine fünf Minuten standgehalten hätte, wenn die Journalisten nur einigermaßen kritisch hätten nachfragen wollen.“ So aber dreht sich alles um die beiden Hauptthemen.
Vor der FAO wehen die gut hundertvierzig Mitgliedsfahnen, Botschafstskarossen rollen an, vom Aventinshügel aus sieht man die schier unendlich scheinende Menge gutgekleideter Vertreter. „Sonst ist hier eher Ebbe an Bewegung“, sagt Beppe, „wenn ich hier Präsenzdienst habe, brauche ich mindestens eine halbe Stunde, bis ein Fahrgast kommt.“
Damit hat er wohl nicht übertrieben, denn die FAO gilt als Einrichtung, in der es nach glaubwürdigen Aussagen von Insidern so viele unentschuldigte Absenzen gibt wie nirgendwo sonst im an sich schon nicht vom Bürokrateneifer verwöhnten Rom. Mehr als ein Drittel der fast zehntausend Beamten aus aller Herren Länder ist regelmäßig nicht am Platze, ohne daß dies durch außerhäusliche Aufgaben gerechtfertigt wäre.
Nun aber sind sie alle da, Sichsehenlassen ist wichtig, und daran verdient natürlich einer wie Beppe doch. Schließlich ist ja auch der Papst gekommen, UNO-Chef Butros Ghali und der eigene Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro, und die Begrüßung hat die Königin von Jordanien gehalten, „die schönste Frau der Welt“, wie Beppe auf seinem Mini-Fernseher während einer kurzen Standzeit erkannt hat.
Alles in allem also eine erfreuliche Zeit, diese FAO-Konferenz, meint er. So an die zwanzig Prozent hat er dazuverdient. Vorschlag: Ob er diese zwanzig Prozent der eben angelaufenen Zaire- Hungerhilfe spenden könnte? Beppe schaut erst mit einem Blick der Marke: „Jetzt gehst auch du mir noch auf den Wecker“. Dann neigt er den Kopf und findet die Idee nicht schlecht. Flugs, der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, bastelt er aus dem Kästchen mit den Eurocard-Vordrucken auch eine Art Sammelbüchse und schreibt „Zaire-Hilfe“ drauf. Da muß man natürlich gleich mal ein paar Zehntausendlirescheine reinstecken.
Drei Stunden später, Papst- und UNO-Präsidentenrede sind inzwischen vorbei, hält Beppe quietschend am Straßenrand an. „He du, ich hab dich doch heut' früh gefahren. Die Idee war nicht schlecht, Ich hab's noch nicht gezählt, aber so eine halbe Million Lire (500 Mark) denke ich, habe ich beisammen, morgen geht's auf die Bank.“
Beim gemeinsamen Espresso am Restaurant Spartacus kommt allerdings wieder eine Nachricht, die Beppe höchst verstört: Drei Aktivistinnen der Grünen haben sich beim Gipfel nackt präsentiert, um sich mit den Milliarden Frauen in unterentwickelten Ländern zu solidarisieren, die ihre Arbeit tagtäglich „ohne den geringsten Schutz selbst ihres Körpers verrichten“. Und jetzt vermutet Beppe, „glotzen alle diese Machos hier jede einigermaßen gutaussehende Frau an, ob das vielleicht eine ist, die sich auch auszieht.“
Beppes Vertrauen in das Gelingen des Gipfels hat erneut eine ordentliche Delle erhalten.
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