: „Soist amoi schaung, wos de Portos kriagn.“
■ Als studentische Billiglohnkraft auf einer Münchner Baustelle: Fünf Wochen zwischen Dreck und Staub, entlohnt und behandelt wie ein Sklave und doch noch nicht ganz unten
Fünf Wochen habe ich als Dachdeckergehilfe gearbeitet. Aufatmen, als ich mit elftägiger Verspätung die Gehaltsabrechnung erhalte. Sicher war ich mir nicht, ob diese Firma, die in München und Umgebung auf 41 Baustellen arbeiten läßt, überhaupt den vollen Lohn auszahlen würde.
Angefangen hatte alles mit der Studentenjobvermittlung am Arbeitsamt, wo ein Job als Aushilfsgabelstaplerfahrer angeboten wurde. 20 Mark die Stunde – okay. Gleich am nächsten Tag wurde ich bei strömendem Regen auf die Großbaustelle Riem beordert. Dort isoliert die Firma Flachdächer. Ich arbeitete dort zwei Tage als Hilfsarbeiter, ohne jemals in die Nähe eines Gabelstaplers vorgedrungen zu sein. Statt dessen wurde mir am dritten Tag eröffnet, daß der Vorarbeiter in Riem mich nicht brauchen könne, weil ich nicht mit einem Gabelstapler umgehen könne.
Daraufhin wollte mich die Firma wieder loswerden. Meine Forderung auf Schadensausgleich, bis ich einen neuen Job gefunden hätte, wurde müde belächelt. Ohnehin hätte ich ohne Staplerführerschein niemals einen Gabelstapler fahren dürfen, aber das erfuhr ich erst später. Nun mußte ich einen neuen Job an Land ziehen. Bei der Personalchefin griff ich zur letzten Geheimwaffe: „Stellen Sie sich vor: Ich bin entlassen. Was soll ich nur tun?“ Ihr Mutterherz erweichte. So durfte ich am nächsten Tag um sechs Uhr in der Innenstadt antreten: vor einem Bürohaus mit Kupferdach.
Nun war ich Spengler [Blecharbeiter, die Red.] unter Vorarbeiter Harry und den Portugiesen Carlos und Miguel. Ein einziges Wort Portugiesisch lernte ich während dieser Woche: „Maluko“ – was soviel wie „verrückt“ heißen soll. Die Arbeit war okay – bis auf die täglichen Besuche von Bauleiter Leo, der mit meiner Arbeitsleistung immer unzufrieden war. „Du muaßt as otreibn“, hörte ich ihn zum Vorarbeiter sagen. Nie ein Lob über Arbeitsqualität oder die Bereitschaft, 52 Stunden ohne Überstundenzuschläge in der Woche zu arbeiten.
Anschließend wurde ich in die Landshuter Allee eingeteilt. Beim Wort „Abriß“ schwante mir schon Ungutes. Der Vorarbeiter begrüßte mich freundlich: Er war der erste, der zu einem sachlichen Gespräch fähig und bereit war. Allerdings war es für den Vorarbeiter der erste Arbeitstag bei der Firma, genau wie für den Ossi Silvio, 22 Jahre, Dachdecker und Dritter im Bunde. Nachts konnte ich nicht einschlafen. Nach elf Stunden Arbeit am Abriß juckte und brannte meine Gesichtshaut.
Mit vier Tagen Verspätung wurden uns von der Bauleitung Schutzanzüge und Gesichtsmasken zur Verfügung gestellt. Oberbauleiter Paul fühlte sich von dieser Fürsorge völlig überrumpelt, fand sie übertrieben und teuer: „Des Zeig konnst sogar fressn! Des waar wos anders, wenn's a Asbest gwesn wär' ...“
Aber zurück zum ersten Tag, an dem mich der talentierte Nachwuchsbauleiter Toni mit einem herzlichen „Servus, host dei Fotzn heit scho kriagt“ begrüßte. Ihn vermisse ich ganz besonders, weil er mir so charmant ins Gesicht log, als ich um Arbeitsschuhe bat und er mir versicherte: „Naa, für dei Greß gibt's koane Schuah. Nur bis fümfaviazge.“ Auch, weil er nie und niemals im Büro etwas Abfälliges über meine Arbeitsleistung gesagt haben will. Als ich dort um einen Fahrgeldzuschuß bat, hörte ich nur: „Fahrgeld gibt es nur bei guter Leistung. Und Ihre Leistung scheint leider nicht auszureichen.“ Warum auch sollte ein dahergelaufener Student lächerliche 70 Mark Fahrgeld bekommen, wenn selbst Toni kaum mehr als ein Firmenauto nebst Handy kostenlos zur Verfügung gestellt bekommt? Er sagte deshalb nur: „Konnst eh zfrieden sei mit deine 20 in da Stund. Soist amoi schaung, wos de Portos [die Portugiesen, die Red.] kriagn.“
Tonis Empörung muß man verstehen, er wird schließlich von allen verkannt. Eine verspätete Gasflaschenlieferung, die falschen Schrauben, die zu kleine Blechummantelung des Kamins, der defekte Bohrhammer, die morsche Werkzeugkiste: Die Organisation solcher Dinge war ja noch nie Sache eines Bauleiters! Verständlich auch sein Ärger über die mangelnde Abrißleistung. Er hätte gewiß ganz alleine das Dreifache geschafft. Aber man hindert ihn ja ständig daran, selbst Hand anzulegen. So bleibt ihm nur die allmorgendliche Sorge, welches Parfüm denn heute am besten mit welchen Schuhen korrespondieren könnte.
Der Gipfel seiner Selbstlosigkeit war am Ende die Bitte, den Abriß am Wochenende fertigzustellen. Daß er uns dafür die luxuriöse Prämie von 200 Mark zuschanzte, macht ihn zum Heiligen. Dezent ließ er unerwähnt, daß wir mit dieser menschenunwürdigen Zusatzschicht die Firma vor einer horrenden Konventionalstrafe bewahrten.
Alles in allem sorgte Toni für ein angenehmes Arbeitsklima, was sich besonders an meinem letzten Arbeitstag zeigte, als mir wegen einer „kleinen Unachtsamkeit“ des Vorarbeiters ein 20 Kilo schwerer Holzklotz auf den Kopf fiel. So endete meine Zeit auf dem Bau im Krankenhaus. Nachzutragen wäre noch, daß die portugiesischen Hilfsarbeiter keine Wies'n-Gutscheine erhalten haben und Ossi Silvio sich tagelang von A & P- Orangensaft mit Tengelmann- Semmeln ernähren mußte, weil er auf seinen Lohn warten mußte.
Ende gut, alles gut. Die Kohle ist auf dem Konto, der Kopf wieder heil. Ich danke dem Schicksal. Christian Kirschstein
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