piwik no script img

Betr.: Wolf Biermann

„Mit diesem französischen Moustache war ich ein Kleinbürgerschreck, ein realsozialistischer Punk“, schrieb Biermann über seinen Schnäuzer, in dem aber auch eine Spur Brassens, Brasserie und alte Arbeiteraristokratie enthalten ist – kaum allerdings Sgt. Pepper. Wolf Biermann stammt aus einer Hamburger Arbeiterfamilie, sein Vater, Kommunist und Jude, wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Erst 1953 kommt der Sohn in die DDR, wo er gleich zwei Studien an der Humboldt-Uni hinlegt (Politische Ökonomie und Philosophie/Mathematik), bevor er 1959 Assistent und Protegé Hanns Eislers am Berliner Ensemble wird. Trotz gleichsam privilegierter Stellung – Margot Honecker hatte sich seiner an Sohnes statt angenommen – immer wieder Querelen wg. „Obszönität“, Publikation in Westverlagen und dissidentischer Umtriebe. Auf den Ausschluß aus der SED 1963 folgt die Verlegung eines Teils der DDR-Öffentlichkeit in Biermanns legendäre Wohnung in der Chausseestraße 131, dem bohemistischsten inneren Exil östlich von Helmstedt, das praktisch um Biermanns Gitarre und Wortbeiträge herum konstruiert war. Am 16. November 1976 wird B., in der Phase eher überraschend, „wegen grober Verletzung seiner staatsbürgerlichen Pflichten“ nach einem angeblich DDR-kritischen Konzert in Köln ausgewiesen. Seither lebt er (meistens) in Hamburg. Spektakuläre Aktionen und Wortmeldungen der letzten Jahre: Während des Golfkriegs engagiert Biermann sich als Befürworter der militärischen Intervention der Alliierten, 1991 nutzte er seine Dankesrede zur Verleihung des Büchner-Preises, um „Sascha Arschloch“ (Anderson) als Stasispitzel zu brandmarken. Wolf Biermanns neue Platte „Süßes Leben – saures Leben“ ist bei Zweitausendeins erschienen.

Die Fotos zu unserem Beitrag entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung des Verlags Schwarzkopf & Schwarzkopf dem Band „Wolf Biermann. Ausgebürgert. Fotografien von Roger Melis“, Berlin 1996, 192 Seiten, 78 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen