: Spirale der Gewalt
■ Brčko geht an die Serben, der Frieden ist gefährdet
Deutlicher hätte die Entscheidung der westlichen Balkan-Friedensmakler nicht ausfallen können: Brčko geht an die Serben, die Muslime verlieren ihren einzigen Binnenhafen, den internationalen Wasserweg zur Donau. Basta. Mit dieser Entscheidung – sollte sie endgültig sein – haben EU und UNO klargestellt: Bosnien ist für uns kein Thema mehr.
Die Kriegsherren aller Seiten wissen, von nun an bestimmen allein sie, wie künftig die Grenzen auf dem Balkan gezogen werden. Die Serben nennen das „Landkorrekturen, um den eigenen Lebensraum zu sichern“, die Kroaten sprechen vom „legitimen Recht auf Geschichte“, und beide spucken auf die Gefühle der Muslime, immerhin die leidende Mehrheit im Land.
Aber das scheint niemanden im Westen zu stören. Mehr noch: Die Drohung der bosnischen Serben, nicht zu zögern, einen „zweiten Krieg“ zu beginnen, falls Brčko ihnen abgenommen werde, scheint Europa einzuschüchtern. Das sagte die bosnische Serbenführerin Biljana Plavsić, und der Belgrader Oppositionsführer Zoran Djindjić kommentierte: „Brčko sollte man zur Seite legen.“ So einfach ist das, erst wird gemordet und vertrieben, dann die Beute unter Androhung neuerlicher Gewalt ins Reich einverleibt.
Wer wundert sich, wenn es dann im Zwergstaat Sarajevo, diesem eingeschnürten Muslime-Land, rumort? Wie sollen die bosnischen Muslime auf engstem Raum, eingezwängt zwischen der serbischen Militärbasis Brčko und dem Kroaten-Stützpunkt Mostar, eine zivile Gesellschaft aufbauen können? Radikalos und Islam-Fanatiker bekommen Zulauf, sie schwören Rache und rufen: „Wir brechen aus, mit Allahs Hilfe!“
Die Spirale der Gewalt dreht sich und fanatisiert zwangsläufig die Eingequetschten, die Verdammten zwischen den feindlichen Blöcken. Sie stellen Europa damit vor die Wahl: Entweder wir werden wieder Teil des alten Kontinents, oder der erste Gottesstaat auf europäischem Boden ist unser. Doch darauf warten die kriegslüsternden Regierungen in Belgrad und Zagreb. Ein neues Draufschlagen käme ihnen gelegen – als Helden, die sich der islamischen Gefahr entgegenstellen. EU und UNO können das verhindern: Brčko und Mostar müssen unter internationale Verwaltung, um als Krisenherde neutralisiert zu werden – bis auf weiteres. Karl Gersuny
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