: Gesellschaftlicher Konsens verletzt
■ betr.: „Den Widerstand ,abfer keln‘“ (Der Castor-Polizeieinsatz zeigt eine veränderte Republik); „Unsere Polizei im Wendland – eine Nachlese“ u.a., taz vom 10.3. 97
Die neue PR-Offenheit der Polizei spiegelt den liberal ummantelten konservativen Kern polizeilicher Einsatzstrategien wider. Der durch den Brokdorf-Beschluß angeordneten Liberalität muß Rechnung getragen werden. Gleichzeitig wird das polizeiliche Ziel nicht aus den Augen verloren und letztendlich machtvoll durchgesetzt.
[...] Die Großeinsätze der Vergangenheit haben verdeutlicht, daß PolizeibeamtInnen oftmals eine Meinung vertreten, die nicht im Einklang mit ihrem Auftrag ist. Es nützt also wenig, die Meinung zu unterdrücken, und so wird eine Offenheit dokumentiert, die noch lange nicht dazu führt, daß PolizistInnen die freie Gewissensentscheidung gewährt wird. Im Gegenteil, besser kann nicht dokumentiert werden, daß die Gehorsamspflicht über der Gewissensfreiheit zu rangieren hat.
Tatsache ist und bleibt jedoch, daß das wirtschaftliche Interesse eine legal formale Definition erhalten und gegen einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung von der Polizei durchgesetzt wird, ohne daß von der Polizei überhaupt die Frage eines übergeordneten Rechts gestellt wird. Besser kann sich die Polizei als Machterhaltungsinstrument nicht darstellen.
Letztendlich wird schulterklopfend die Durchsetzung des polizeilichen Ziels als Erfolg gelobt, wie die internen Dankschreiben dokumentieren. Daß dabei der gesellschaftliche Konsens verletzt wurde, will die Polizei nicht sehen. Das zuletzt vorhandene Mißverhältnis von 5.000 DemonstrantInnen gegenüber 14.000 PolizistInnen im Wendland hat nicht mehr mit demokratischen als vielmehr mit polizeistaatlichen Verhältnissen zu tun.
Will die Polizei nicht in eine ähnlich versagende Rolle wie in der Weimarer Republik verfallen, muß sie sich neben einer geschichtlichen Aufarbeitung die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Rolle stellen und versuchen, sie zu beantworten. Jürgen Korell, Sprecher der
BAG Kritischer PolizistInnen,
Wiesbaden
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