Tirana fordert europäische Militärintervention

■ Die albanische Regierung hat die Kontrolle über das Land verloren. Eine staatliche Macht existiert nicht mehr. Aufständische setzen Plünderungen in der Hauptstadt fort

Tirana (dpa/taz) – Der albanische Präsident Sali Berisha sowie die Parteien des Landes haben gestern von der Westeuropäische Union (WEU) eine Militärintervention verlangt. Man erbitte „militärische Hilfe, um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen und die Integrität Albaniens zu bewahren“, hieß es in einem Kommuniqué, das im staatlichen Rundfunk verlesen wurde. Die albanische Führung hat gestern die Kontrolle über das Land vollständig verloren.

Die Europäer müßten „militärisch eingreifen, um Leben und Frieden der Menschen zu schützen“, sagte Tritan Shehu, Chef der Regierungspartei in Albanien. Die Armee sei völlig paralysiert und könne nichts ausrichten, sagte Shehu, ein Vertrauter von Berisha und noch bis vor wenigen Tagen der Außenminister des Landes. Shehu warnte vor einer „totalen Destabilisierung“ der Region. Regierungschef Bashkim Fino richtete ebenfalls einen Hilfsappell an Europa und warnte, sein Land stehe vor dem Bürgerkrieg. Im BBC-Rundfunk sagte er: „Wir sind am Rande eines Bürgerkriegs. Wir sind in Gefahr. Europa muß uns in dieser schwierigen Zeit helfen.“ Am Wochenende wollen die EU-Außenminister im niederländischen Apeldoorn bei einem informellen Treffen über die Albanien-Krise beraten.

Präsident Berisha hatte auf die wochenlangen Proteste mit der Bildung einer Übergangsregierung, angekündigten Neuwahlen und der Ausrufung einer Amnestie reagiert, die Forderungen nach seinem eigenen Rücktritt jedoch nicht erfüllt.

Der Vermittler der OSZE, Österreichs Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky, stellte gestern eine erneute Mission nach Albanien in Frage. Er selbst wollte noch gestern nachmittag nach Tirana reisen.

Die Nachbarländer Albaniens haben gestern die meisten Grenzübergänge geschlossen. Der Flughafen wurde gesperrt, ein Verlassen des Landes war praktisch unmöglich. Gleichwohl wurden alle Ausländer von ihren Regierungen zum Verlassen des Landes aufgefordert. Die Aufständischen setzten gestern ihren Plünderungsfeldzug in Tirana fort. Im Norden des Landes wurden sieben Menschen getötet. Berichte Seite 8, Kommentar Seite 10