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Schuldenpanik in Bonn

Steuerschätzungen und Monatsbericht der Bundesbank signalisieren neue Verschuldungsrekorde  ■ Von Dieter Rulff

Bonn (ADN/rtr) – Bis zuletzt hatte sich Bundesfinanzminister Theo Waigel geweigert, die erwarteten Steuerausfälle von insgesamt annähernd 20 Milliarden Mark zu bestätigen. Stets hatte er nur von „zehn Milliarden plus X“ gesprochen. Seit gestern nun kann er korrekterweise gleich von 18 Milliarden plus X sprechen. Denn zur gleichen Zeit, zu der die Steuerkommission ihre Schätzung öffentlich machte, präsentierte die Deutsche Bundesbank ihren Monatsbericht.

Danach hat sich die öffentliche Hand in Deutschland im ersten Quartal 1997 fast doppelt so hoch verschuldet wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Nettokreditaufnahme der Gebietskörperschaften stieg auf 33,9 (17,8) Milliarden Mark. Rechnerisch entfällt fast der gesamte Betrag auf den Bund, der sich nach Abzug von Tilgungen mit rund 33,5 (18,9) Milliarden Mark verschuldete. Im April betrug laut Bericht die Nettokreditaufnahme des Bundes weitere 16 Milliarden Mark.

Für das laufende Jahr waren insgesamt 53,3 Milliarden Mark Nettoneuverschuldung eingeplant gewesen. Es wird folglich immer unwahrscheinlicher, daß der verabschiedete Haushaltsrahmen eingehalten wird. Die SPD fordert deshalb schon seit Wochen einen Nachtragshaushalt. Die Fraktionschefs Rudolf Scharping (SPD) und Joschka Fischer (Grüne) bekräftigten gestern diese Forderung. Aber auch innerhalb der Koalition wird der Ruf nach drastischen Maßnahmen lauter.

Der FDP-Haushaltsexperte Jürgen Koppelin forderte gestern, als Konsequenz aus der neuen Steuerschätzung „alle haushaltspolitischen Instrumente“ einzusetzen, um die errechneten Mindereinnahmen auszugleichen. Dazu gehöre auch die „längst überfällige Haushaltssperre“, erklärte Koppelin in Bonn. Aber auch ein Haushaltssicherungsgesetz dürfe nicht ausgeschlossen werden. Dagegen seien Steuererhöhungen abzulehnen, da sie „Gift für die Konjunktur und die Arbeitsplätze in Deutschland“ wären. Dies gelte auch für die Mineralölsteuer.

Koppelin bestätigte damit die Linie, auf die sich führende FDP- Politiker für die Verhandlungen mit den Koalitionspartnern von der Union festgelegt hatten: Alles, nur keine Steuererhöhung. Diese Linie hatte Parteichef Wolfgang Gerhardt noch am Morgen bekräftigt. Doch damit will sich Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) noch nicht anfreunden. Er erklärte gestern, die Steuermindereinnahmen führten „im Hinblick auf die Maastricht-Kriterien zu keiner grundsätzlich anderen Beurteilung“. Die Bundesregierung behalte sich weitere Schritte vor, teilte der Bundesfinanzminister lapidar mit.

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