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„Sie wollen uns in die Illegalität drängen“

■ Neun Jahre lang erschien die „Interim“ unbehelligt von Polizei und Staatsschutz. Zum 1. Mai 1988 gegründet, ist sie noch immer Sprachrohr der undogmatischen, radikalen Linken

Das Titelbild der Interim mit der laufenden Nummer 423 vom 5. Juni 1997 scheint fast eine Vorwegnahme dessen zu sein, was mit der gestrigen Razzia demonstriert wurde: Es zeigt einen Vermummten in Schlips und Kragen, hinter dessen Motorradmütze unzweifelhaft Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) zu erkennen ist. Der Titel der Fotomontage lautet schlicht: „Agent Provocateur“.

Gestern provozierte Schönbohm freilich nicht wie beim Einsatz vermummter Polizisten am 1. Mai das Rechtsempfinden der restliberalen Öffentlichkeit, sondern die Hersteller, Vertreiber und Leser der Interim. Neun Jahre nach Gründung der wöchentlich erscheinenden Szenezeitschrift war den Ordnungsbehörden offenbar aufgefallen, daß in der Interim nicht nur die autonome Selbstvergewisserung ihren Platz hatte, sondern auch die „Belohnung und Billigung von Straftaten“. Ein durchaus überraschender Sinneswandel, denn nach einer größeren Observierungsaktion im Jahre 1990, bei der nach Angaben von Verfassungschützern allerdings nur „Randerkenntnisse“ gesammelt werden konnten, durften sich die MacherInnen der Zeitschrift bislang in einem staatlich geduldeten Graubereich wähnen.

Dies entspricht auch dem Selbstverständnis der Interim-MacherInnen, die ihre Zeitschrift eher als eine halblegale Publikation denn als eine illegale Publikation begreifen. „Mit der gestrigen Razzia“, glaubt ein Mitarbeiter einer der Redaktionen, die die Interim erstellen, „soll die Zeitschrift allerdings endgültig in die Illegalität gedrängt werden.“

Gegründet wurde die Zeitschrift pünktlich zur ersten „revolutionären Maidemonstration“ 1988. Im Gegensatz zu vorhergehenden autonomen oder linksradikalen Publikationen wie der unzertrennlich sollte die Interim weniger fertige linke Positionen formulieren, als vielmehr Raum für eine Debatte unter den verschiedenen linksradikalen Strömungen bieten. Dazu gehörten auch Auseinandersetzungen darum, ob es richtig sei, Anleitungen zum Bau von Brandsätzen zu veröffentlichen. Ganz im Gegensatz zur sonst üblichen Selbstüberschätzung der autonomen Szene begriffen die Interim- MacherInnen der ersten Stunde die Zeitschrift auch als „Produkt einer damaligen politischen Schwäche“. Um überhaupt wieder eine gemeinsame Sprache zu finden, sollte die Interim deshalb vor allem Raum für eine Selbstverständigung der Szene bieten.

Daß dies immerhin seit neun Jahren – manchmal mehr und manchmal weniger – gelingt, zeugt nicht nur von einer überraschenden Kontinuität, sondern ist auch der mitunter unkonventionellen Art der jeweiligen Redaktion geschuldet, mit der die abgedruckten Beiträge kommentiert werden. Dabei ließ die Mehrheit der Interim-MacherInnen keinen Zweifel daran, daß stalinistische Positionen, wie sie etwa im Zusammenhang mit den 1.-Mai-Demonstrationen vertreten werden, nicht zum Konsens einer undogmatischen, radikalen Linken gehörten.

Nachdem die Auflage der Zeitschrift in den letzten Jahren auf unter 2.000 gesunken war, bemühten sich die Interim-Redaktionen, ihre LeserInnen mit an der Zeitung zu beteiligen. Dabei legte die große Mehrheit der Befragten eine eher konservative Grundhaltung an den Tag: Statt, wie von manchen Redaktionen vorgeschlagen, die Zeitschrift zu „modernisieren“, sprachen sie sich weitgehend für die Beibehaltung des alten Konzepts samt der alten Erscheinungsform aus. Uwe Rada

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