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Warten auf die Massenflucht

Noch ist es ruhig an Thailands Grenze zu Kambodscha. Nur einige Anhänger des gestürzten Prinzen Ranariddh fliehen in das Nachbarland  ■ Aus Aranyaprathet Jutta Lietsch

Morgens um sieben putzt eine Kolonne Straßenfegerinnen die Brücke nach Kambodscha. Am Rande eines ausgefahrenen Feldwegs kurz vor dem Kontrollpunkt stehen bereits die Lastenträger mit ihren groben Holzkarren und die Jungen mit Passagierwägelchen: „Taxi, Miss?“

Der Weg führt vom großen Markt auf der thailändischen Seite hinüber nach Poipet. Ab acht Uhr, wenn die Grenze geöffnet ist, schieben die Arbeiter täglich Riesensäcke mit getrocknetem Fisch, Altglas, Videogeräte und Plastikstühle nach drüben – für ein paar Pfennige. Doch heute ist der kleine Grenzverkehr nahe der thailändischen Stadt Aranyaprathet ruhiger als sonst, die Stimmung ist gespannter: Nicht weit von der Grenze an der Nationalstraße, die bis zur kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh führt, habe es „in den letzten Stunden ein paar Scharmützel gegeben“, sagt der thailändische Vizekommandeur der Grenztruppe „Königin Sirikit“. Außerdem seien die Zoll- und Einwanderungsbeamten auf der anderen Seite aus Angst vor ihren eigenen Soldaten weggelaufen. Dennoch zeigt er sich gelassen: Die Kämpfe zwischen den Armee-Einheiten der beiden verfeindeten kambodschanischen Regierungschefs „werden nicht auf unser Gebiet herüberschwappen“.

Die Grenzregion steht seit Jahrzehnten unter Kontrolle der thailändischen Armee und ist gespickt mit Kasernen, Panzern und Kanonen, die in Richtung Kambodscha zeigen. Über Nacht und am frühen Morgen sind einige hohe Funktionäre der kambodschanischen Funcinpec-Partei mit ihren Familien über die Brücke gekommen, auf der Flucht vor den Soldaten Hun Sens, der am Wochenende die Macht in Phnom Penh an sich gerissen hat. Seine ehemaligen Koalitionspartner fürchten um ihr Leben. Mindestens zwei hohe Funcinpec-Politiker sind seitdem ermordet worden. Kambodschas Prinz Norodom Ranariddh, der von seinem Kopremierminister aus dem Amt gejagt wurde, sitzt derweil in seiner Residenz in Südfrankreich „und organisiert den Widerstand“, wie er erklärt.

Über diese Ankündigung kann der thailändische Offizier nur müde lachen: „Der Prinz tut nur eines: reden, reden, reden.“ Zwar hätten seine Einheiten bislang die Westprovinzen kontrolliert, aber „sie sind von Hun Sen abgeschnitten und werden höchstens ein, zwei Wochen kämpfen“. Der Grund dafür sei einfach: „Dann werden sie kein Öl mehr für ihre Panzer, kein Benzin für ihre Hubschrauber und keine Munition mehr für ihre Waffen haben.“

Doch ungefährlich ist die Situation keineswegs: Was geschieht, wenn die Roten Khmer sich in die Kämpfe einmischen? Khieu Samphan, der ehemalige Präsident des Pol-Pot-Regimes, hat aus dem letzten Guerillastützpunkt in der nordwestlichen Region Anlong Veng erklärt, er unterstütze den vertriebenen Prinzen gegen die „vietnamesische Marionette“ Hun Sen. Nur wenige Kilometer weiter südlich sitzt der ehemalige Außenminister der Roten Khmer, Ieng Sary, mit seinen Soldaten. Obwohl er im letzten Herbst offiziell die Seiten wechselte, herrscht er in seinem alten Stützpunkt Phnom Malai ungerührt wie ein Lokalfürst. Bislang sieht er nur zu, wie sich die Einheiten der Regierungsarmee untereinander beschießen. Aber wie lange noch? Wenn die Roten Khmer nun ihre Chance sehen, gemeinsam mit den Soldaten des Prinzen gegen den verhaßten Hun Sen zu kämpfen, wäre ein Bürgerkrieg unvermeidbar. Schon in den achtziger Jahren kämpften Funcinpec-Soldaten und Rote Khmer gegen die von Vietnam eingesetzte Regierung in Phnom Penh. Deren Premier war Hun Sen.

Die Brücke bei Poipet und die Region um Aranyaprathet waren in jener Zeit Zeugen der großen Tragödie in Kambodscha. Hunderttausende Flüchtlinge kamen ab 1979 durch die verminten Felder – Überlebende des Regimes der Roten Khmer und Opfer der Kämpfe im folgenden Bürgerkrieg. Erst nach dem Friedensabkommen 1991 brachte die UNO sie aus den riesigen Lagern wieder zurück in ihre zerstörte Heimat. Noch gibt es keine neue Massenflucht, denn bislang ist es in den meisten Orten im Westen Kambodschas ruhig. So hocken an den thailändischen Militärkontrollen nur kleinere Gruppen von KambodschanerInnen, die über die grüne Grenze gelaufen sind und gefangen wurden. Einfaches Volk wird zurückgeschickt.

„Es ist bitter“, sagt Albert Weidemann, der in einem mit deutscher Hilfe geförderten Entwicklungsprojekt für zwölf Dörfer in der kambodschanischen Provinz Battambang arbeitet. Er ist am Sonntag evakuiert worden und wartet in Aranyaprathet darauf, daß er bald zurückkehren kann. Seit dem Waffenstillstand der Regierung mit dem „Überläufer“ Ieng Sary „wurden unsere Dörfer in diesem Jahr zum erstenmal nicht mehr von den Roten Khmer beschossen“, berichtet er. Die Bauern konnten nachts in ihren Häusern schlafen. „Sie haben langsam wieder Mut gefaßt und gedacht: Nun können wir etwas aufbauen, ohne Angst“, sagt er. „Statt dessen ist wieder alles verloren.“

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