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Krabbeln mit Badehelden

Medienkunst als leichtes Sommerdessert: Die ACC Galerie in Weimar nähert sich der documenta und zeigt mit „Splash!“ ausschließlich Videos  ■ Von Susanne Altmann

Splash! springt ein Geiger (!) in den Badeschaum, aus dem mein eigener (!) Kopf blinzelt. Ich wische mir das Wasser aus den Augen, und schon wieder klettert eine weiße Gestalt aus dem Monitor auf den Wannenrand und versinkt – Splash! – im Naß. Die krabbelnden Wesen sind zirka 30 Zentimeter hoch und ähneln fatal dem 1960 geborenen Franzosen Pierrick Sorin, der gerade letzte Hand an seine Videoinstallationen legt. Während man sich zwei Stunden weiter westlich, in Kassel, Ressentiments über die Videolastigkeit der documenta X zuflüstert, zeigt die ACC Galerie in Weimar in ihrer Sommerausstellung „Splash!“ nichts als Videos.

Mit dem Titel wird im übrigen nicht nur auf die feuchte Arbeit von Sorin angespielt, sondern auch auf das seltsame Motto, das die Stadt der Dichter und Denker bis 1999 zu ihren Weihen als Kulturhauptstadt Europas begleiten soll: „Weimar liegt am Meer!“ Wenn sich auch in anderen Landesteilen die Fluten eben erst wieder zurückziehen, in Weimar bleibt es staubtrocken; einmal mehr, da dort emsige Bautätigkeit reichlich Staubwolken verursacht. Wahrscheinlich grüßt deshalb von den Gerüsten jenes ominöse „Weimar liegt am Meer!“. Die ACC Galerie selbst auf dem Burgplatz hat Um- und Ausbauten schon hinter sich und kann es sich leisten, neben der Hauptausstellung noch bemerkenswerte Videoarbeiten von StudentInnen der Bauhaus-Universität zu zeigen.

Mit den drei letzten Sommerausstellungen – Sherman, Wegman, Pierre & Gilles – meint die Galerie nun, den Bedarf an inszenierter Fotografie gedeckt zu haben und wendet sich dem inszenierten Video zu. Videokunst als „Gewinn von Zeitlichkeit“, einem „Rohstoff, der bei der modernen Großausstellung verschüttgegangen ist“ (A. Horwarth), kann hier genüßlich zelebriert werden. Pierrick Sorin aus Nantes zum Beispiel erzeugt im Inneren von Mini-Environments dreidimensionale Projektionen. In der Art von Laterna magica und Pantomime gibt er Liebeserklärungen an alle nur denkbaren Formen bewegter Bilder ab. Der romantische Held, der in „Purple Rose of Cairo“ der erhabenen Leinwand entsteigt, trägt hier unsägliche Unterwäsche und benimmt sich eher linkisch. Das noch immer zuweilen – und oft zu Recht – als unsinnlich gescholtene Medium Video bekommt hier eine sehr nostalgische und, nun ja, liebenswerte Komponente.

Um Tiefsinn geht es bei „Splash!“ ohnehin nicht. Die Kuratoren sehen ihr Projekt als ein leichtes Sommerdessert zum schwergewichtigen Elefantenrennen moderner Kunst in diesen Wochen. Mit der Auswahl der drei KünstlerInnen glückte ein Konzept, das auch ohne prätentiöse Klammer eines Themas stimmig bleibt.

Daß die 1963 geborene Engländerin Gillian Wearing zur Eröffnung nicht anwesend sein konnte, spricht im nachhinein für das Gespür der ACC Galerie: Wearing wurde für den alljährlichen „Turner Prize“ der Londoner Tate Gallery nominiert. Per Eilkurier erreichten ihre Videobänder Weimar gerade noch rechtzeitig. Zwei der Arbeiten werden als große Wandprojektionen gezeigt. Wearing läßt in ihren Filmen „Menschen von der Straße“ auftreten, ohne sie zu denunzieren. Einzelne Frauen in ausnahmslos geblümten Kleidern blasen eine Melodie auf einer wassergefüllten Colaflasche: „I'd like to teach the world to sing“.

Das einst populäre Liedchen mit dem global-musikpädagogischen Anspruch wird von einem Orchester eifriger Bläserinnen vorgetragen. Für die Gleichzeitigkeit der Auftritte und die Gesamtheit des Liedes sorgt die Technik. Vom Überwinden anfänglicher Hemmungen bleibt kaum eine Spur: Das farbenfrohe künstliche Ensemble funktioniert. Zum Simulieren schmissiger Gitarrenriffs auf einer fiktiven, sogenannten „Luftgitarre“ vor Wearings Kamera haben sich andere Probanden bereit gefunden. In ihren eigenen vier Wänden ließen sie sich von ihrem Lieblingshardrock anregen. Die Grenzgänge von Wearing sind behutsam und dennoch nicht kryptisch.

Erfrischende Distanz und Skepsis gegenüber kulturellen Phänomenen des Westens kennzeichnen die Videosequenzen des vierzigjährigen Bulgaren Nedko Solakov. Der Flur der Galerie zwingt zu einer Art Spießrutenlauf – in Augenhöhe produzieren sich fünf bulgarische KunstkritikerInnen und KuratorInnen in mimischen Anzüglichkeiten. Daß „Sexual Harassment“ in einer Zeitschleife stattfindet und ursprünglich toten Geistesgrößen Weimars gilt, interessiert im Moment des Passierens herzlich wenig. Political Correctness als Gratwanderung zwischen Sinnenfeindlichkeit und moralischer Instanz wird vorgeführt – wo endet die Verführung, wo beginnt die Belästigung? Von Defiziten an Sinnlichkeit also auch in den Arbeiten Solakovs keine Spur.

Augenzwinkernde Selbsterkenntnis, hervorgerufen vom mimetischen Potential der Bilder, lauert allerorten. Die labyrinthische Anlage der Galerie läßt die Einzelwerke zu Abenteuern werden, und Blitzbesuche en passant schließen sich von vornherein aus. Das als symptomatisches Medium einer schnellebigen Epoche klassifizierte Video verlangt erstaunlich viel Zeit und Muße.

Bis 28. August, ACC Galerie Weimar, Burgplatz 1.

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