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Wackeln von der Hüfte aufwärts

■ Tanztheater von unten: Los Munequitos De Matanzas halten sich bei den Heimatklängen an originalen Rumba – Vorspiel, Guaguanćo und Vacunao inklusive

Wenn Russen Geburtstag feiern, sitzen sie um einen Tisch und prosten sich mit Wodka zu. Das gilt auch, wenn die Temperaturen bis zum Abend nicht unter 27 Grad sinken, und macht ziemlich betrunken. Im früher einmal eng mit der Sowjetunion befreundeten Kuba hingegen wird zu solchen Anlässen gerne Dosenbier getrunken (weil Rum dort oft Mangelware ist) und Rumba getanzt. Dann stehen die Männer hübsch im Halbkreis mit ihren Trommeln aufgereiht und singen charmant im Chor, während die Damen schwungvoll über den Boden walzen.

Auch das Konzert von Los Munequitos de Matanzas bei den Heimatklängen im Tempodrom muß man sich als Feier vorstellen, auf der der eine oder andere Pappbecher Bier geleert wird, während auf der Bühne ein Dutzend Menschen allerhand Rumba vollführen. Das ganze geht flott an: Drei Männer mit diversen Perkussionsgeräten schaufeln sich durch vertrackte Rhythmen, und ein fünfköpfiger Chor summt dazu eine gemächliche Melodie, in die ab und an ein Vorsänger mit exaltierten Solos einfällt. Nebenbei drehen sich Frauen in wallenden Roben mit weißem Kopfputz mal rechts-, mal linksherum, später schwärmen zwei Tänzer mit Macheten zur Messerchoreographie aus. Die Performance bleibt eher friedfertig, mehr Ritual als Revierkampf unter Machos, und man versteht bald, warum die 1952 gegründete Gruppe vor zwei Jahren vom „Dance Theater Workshop/Suitcase Fund“ nach New York eingeladen wurde – Heimatklänge als Tanztheater, aber von unten.

Anders als Pop-Produkte wie Son und Salsa hat sich der original Rumba eine gewaltige Streetcredibility bewahrt. Ohne Begleitinstrumente, allein auf Trommel, Tanz und Gesang gestellt, erinnert die Musik sehr an ihre Ursprünge aus Afrika. So legen auch Los Munequitos De Mantanzas Wert darauf, einen Teil ihres Programms in der Yoruba-Sprache zu singen. Trotzdem versteht sich Rumba als Mischung aus afrikanischer Kultur und dem Schwof nach Feierabend, wie sie Hafenarbeiter und Fischer in Havanna während des Sklavenhandels entwickelt haben.

Besonders anschaulich wird der Körpereinsatz bei „Guaguanćos“. Zu einem superschnellen Beat schleicht sich ein Tänzer zum Turteln an eine Frau heran, versucht sie zu berühren, während die Dame schamvoll ihr Becken mit den Händen versteckt, nur um damit eine noch verlockendere Bewegung zu provozieren. Am Höhepunkt kommt es zum „Vacunao“, dem symbolischen Rein- raus-Spiel.

Die Zeremonie wird zwar durch eine Erzählung eingeleitet, nur kriegt man vom Text nicht so viel mit. Untertitel oder eine kurze Zusammenfassung hätten schon geholfen, so aber staunen die ZuschauerInnen über die Gelenkigkeit, mit der sich die beiden minutenlang anbaggern. Getanzt wird auch ein bißchen, die Frauen im Publikum wackeln nach einer Weile von der Hüfte an aufwärts. Und die Männer trinken halt Bier oder unterhalten sich mit den Standbetreibern der „Lateinamerikanischen Nachrichten“. Dort kann man eine Flugreise nach Havanna gewinnen. Harald Fricke

Heute und morgen ab 21.30 Uhr, Sonntag, 16 Uhr, im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten

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