Verdämmung der Verbraucher

Steinwolle steht unter Krebsverdacht, doch Hersteller verschweigen die Gefahr. Nur eine Firma bietet ein gesundes Produkt – und ist ohne Chance  ■ Von Detlef Stoller

Steinwolle kann bei Tieren Krebs auslösen. Ob sie auch für Menschen gefährlich ist, ist umstritten. Die Hersteller der Dämmstoffe aber tun so, als ob sie das alles nichts angeht.

„Das Krebsrisiko durch eine herkömmliche Dämmstoffaser scheint ähnlich hoch zu sein wie das einer Asbestfaser“, urteilt der Düsseldorfer Faserforscher Friedrich Pott. 1994 stufte der Ausschuß für Gefahrstoffe des Bundesministeriums für Arbeit (BMA) diese Dämmstoffe daher „als im Tierversuch krebserzeugend“ ein. Geregelt ist diese Einstufung in der Technischen Richtlinie Gefahrstoffe (TRGS) 905. Doch bislang nützt das Verbrauchern wenig: 90 Prozent der verkauften Steinwolle entsprechen nicht der Richtlinie – 390.000 Tonnen jährlich.

Seit die enorme Gefahr von Asbestfasern bekannt ist – zwei Drittel aller anerkannten Krebserkrankungen im Beruf gehen auf ihr Konto –, werden auch Mineralfasern aus Stein und Glas systematisch untersucht. Ein Ergebnis dieser Analysen ist die Technische Richtlinie TRGS 905: Danach dürfen nur Fasern, die sich in der Lunge schnell auflösen, als „frei von Krebsverdacht“ verkauft werden. Ermittelt wird diese sogenannte „Biolöslichkeit“ über Tierversuche. Fasern mit einem sogenannten KI-Wert von über 40 gelten als frei von Krebsverdacht.

Bei den Fasern aus Glas wirkte das: Alle deutschen Hersteller änderten die Chemie der Schmelze. 95 Prozent der Glasdämmprodukte sind heute aus KI-40-Fasern. Ganz anders bei der Steinwolle. Marktführer Rockwool aus Gladbeck prozessierte – erfolglos – gegen die TRGS 905: Mit formalen Argumenten versuchten sie die Richtlinie zu kippen. Mittlerweile ist sie vom Oberverwaltungsgericht Münster auch inhaltlich bestätigt worden. Dennoch ist die Richtlinie nicht allgemein bindend, solange die EU-Kommission sie nicht bestätigt. Zwar haben die Arbeitsschutzkontrolleure die Chance, auf jeder Baustelle den Einsatz von KI-40-Fasern zu verlangen – die TRGS 905 würde in diesem Fall als Grundlage genügen. Aber die Behörden sind damit überfordert.

Die Firma Grünzweig und Hartmann (G + H) aus Ludwigsburg nahm den Arbeitsschutz ernster und ging 1996 mit einer KI-40- Steinwollfaser auf den Markt. In einem offenen Brief beschreibt G + H jetzt die fatale Folge für den Betrieb: „150 von 450 Mitarbeitern im Steinwollewerk Ladenburg haben bereits ihren Arbeitsplatz verloren.“ Denn der Absatz von G + H-Steinwolle ist in einem Jahr um ein Drittel gesunken – schließlich ist das Produkt um 12 Prozent teurer. Doch die Verbraucher kennen den Grund für den hohen Preis nicht. „Nahezu alle Hersteller stufen ihre Produkte als frei von Krebsverdacht ein“, klagt G + H.

„Wir haben ein großes Problem mit der Importware“, sagt André Große-Jäger, im Arbeitsministerium als Referent für Chemikaliensicherheit zuständig. 140.000 Tonnen herkömmliche Steinwolle kommen überwiegend aus Osteuropa, vor allem aus Tschechien und der Slowakei. Doch es ist mehr als ein Importproblem. Auch die deutsche „neue Rockwool“, die mit 250.000 Tonnen die Hälfte des Marktes beherrscht, ist nach der TRGS 0905 „im Tierversuch krebserzeugend“. Rockwool stuft seine Faser trotzdem als frei von Krebsverdacht ein, da sie gut biolöslich sei. „Dieser Einstufung liegt das weltweit verfügbare wissenschaftliche Wissen zugrunde“, behauptet Werksprecher Ulrich Gartner.

Doch die TRGS 905 versteht unter gut biolöslich „vergleichbar mit Gipsfasern“. Die Halbwertszeit von Gipsfasern in der Lunge dauert wenige Tage, die von Rockwool 65 Tage, die der KI-40-Faser von G + H 28 Tage. Den Rockwool-Sprecher läßt das jedoch kalt: „Es kommt doch auf die bauphysikalischen Eigenschaften wie Schmelzpunkt, Feuchteverhalten und Alterungsbeständigkeit an. Eine Steinwollfaser ist schließlich zum Dämmen da und nicht nur dafür, daß sie biolöslich ist.“