: Vom Sprayer zum Unternehmer
■ Zehn junge Sprayer haben eine Graffiti-Agentur gegründet. Die Firma arbeitet vor allem für Marketing- und Werbefirmen, aber auch für öffentliche Auftraggeber
Aus illegalen Sprayern, denen gestern noch die Polizei auf den Fersen war, werden Unternehmer, die ihre Graffiti-Kunstwerke als Dienstleistung anbieten und damit Geld verdienen. Ende Mai gründete der neunzehnjährige Eric Ovaska mit neun Freunden die Graffiti-Agentur Keen Graff-X. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist vermutlich das erste auf Graffiti-Dienste spezialisierte Unternehmen in Berlin.
Sprühtechnisch aktiv waren die meisten schon von Kindesbeinen an. „Bei mir ging es im Alter von elf Jahren mit Eddingstiften los, ein Jahr später bin ich dann auf die Sprühdose umgestiegen“, erinnert sich der 17jährige Geschäftsführer Jakob von Recklinghausen. Erstes Terrain für die Erprobung der eigenen Kunstfertigkeit waren Hauswände. Die Kunstwerke im öffentlichen Raum fielen nicht nur auf – sie gefielen auch. Aufträge von privater und schließlich auch öffentlicher Seite trudelten ein, das Terrain der Jungkünstler verlagerte sich in geschlossene Räumlichkeiten: Im Eisstadion Wilmersdorf drehen gesprühte Schlittschuhläufer Pirouetten, in Köln gestaltete Jakob von Recklinghausen die Bühnendekoration eines Musicals. Im Foyer eines Berliner Krankenhauses hängen fünf riesige besprühte Leinwände, auf denen die Entwicklung eines Embryos dargestellt ist.
Die Gruppe, die überwiegend aus Schülern, einem Dachdecker und einem Zivildienstleistenden besteht, kam zu Jahresanfang auf die Idee, die Lieblingsbeschäftigung offiziell und „im größeren Stil“ zu betreiben: „Uns fiel auf, daß viele Marketingfirmen unprofessionelles Graffiti machen.“ Mangelnde Sprüherfahrung, lautet die Diagnose: Selbst gute Zeichner haben beim Sprühen Schwierigkeiten, weil sie nicht die Hand aufstützen können“, erklärt von Recklinghausen fachmännisch. Auch die ungewöhnlichen Proportionen verlangen Übung: Das größte Werk der Jungkünstler war ein dreißig Meter langer und vier Meter hoher Schriftzug in einer Sporthalle. „Da verliert man schon mal den Überblick“, so der Geschäftsführer.
Heute springt die Agentur Keen Graff-X insbesondere Marketing- und Werbefirmen nicht nur mit der Sprühdose zur Seite, sondern bietet auch Zeichendienste an. Dabei hat jeder der Jungunternehmer seinen eigenen Schwerpunkt: Eric Ovaska hat sich auf Karikaturen spezialisiert, ein Freund auf abstrakte Landschaftsbilder. Andere Mitarbeiter bevorzugen wiederum Schriftzüge.
Demnächst will Jakob von Recklinghausen die Firma ins Branchenbuch eintragen lassen: „Unter der Rubrik Graffiti-Agentur werden wir der erste Eintrag sein.“ Sabine Möhring
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