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Mit welchen Hoffnungen wurde einst um den offenen Kanal gekämpft! Mit glänzenden Augen erzählten die Pioniere des freien Radios von Bürgerkanälen in den USA, wo die HörerInnen nach Millionen zählten. Am Beginn des neuen Medienzeitalters, als die Privaten erst laufen lernten, galt der offene Kanal als die Wunderwaffe für eine mediale Selbstverwirklichung.

Mehr als zehn Jahre später ist von der damaligen Aufbruchstimmung wenig geblieben. Die Macher der freien Radios sind heute zum Teil selbst bei den Privatsendern beschäftigt, und aus den Senderträumen von einst ist ein Randgruppenphänomen der besonderen Art geworden. Wer im Schnelldurchgang die Spinner dieser Stadt erleben möchte, braucht sich nur einen Abend lang den offenen Kanal reinzuziehen. Ekliges und Abseitiges, Esoterisches und Peinliches – im offenen Kanal ist für alle ein Plätzchen frei.

Das Scheitern der ursprünglichen Hoffnungen sich einzugestehen, ist das eine; der Ruf nach dem Zensor etwas anderes. Ein offener Kanal ist entweder frei von Vorprüfung oder Geschmackskontrolle, oder er verdient seinen Namen nicht. Die Grenzen kann nicht der schlechte Geschmack markieren, sondern die strafrechtlichen Kategorien. Wer Nazis verherrlicht, fliegt raus, wer bloß blöd ist, darf senden. Aus dem angeblichen Skandal der kotzenden Skinheads ist deshalb zwar viel über die krude Geisteshaltung der Akteure zu lernen, nichts aber zur Frage: Dürfen die das dürfen?

Das Problem des offenen Kanals liegt deshalb woanders. Es hat seinen Grund, wenn selbst aus den Reihen der CDU der Ruf nach Schließung nicht lautstark vorgetragen wird. Neben all den bunten Kanälen, die täglich mit Schweinkram ihre Zuschauer locken, ist der offene Kanal längst in Vergessenheit geraten. Man braucht ihn überhaupt nicht mehr abzuschalten; der offene Kanal ist längst tot. Gerd Nowakowski

Siehe Interview Seite 22

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