„Drei Meter“ hauen kräftig rein

Behindert und bissig: Die Kabarettisten Osterritter und Schunck begeistern ihr Publikum  ■ Von Daniela Weingärtner

Max und Christoph haben Sinn für groteske Situationen. Daß die Kleinkunstbühne „Saramouche“ über den Behinderteneingang des Hallenbades Menden zu erreichen ist, finden die beiden ziemlich komisch. Hinter der Eingangstür hört der Spaß für Max erstmal auf. Er will ja nicht schwimmen gehen, sondern auftreten, und die Bühne liegt im ersten Stock. Während Christoph mit dem Tontechniker schon zum zweiten Mal Requisiten holt, arbeitet sich Max Stufe um Stufe nach oben.

In dem zugigen Zuschauerraum zerrt er sich mühsam den grünen Kinderanorak über den Kopf. „Kellertheater sind auch nicht besser“, grinst er achselzuckend und verschwindet, um noch mal über seinen Text zu gehen. Mit Kellern jeder Art haben Max Osterritter und Christoph Schunck – Künstlername „Drei Meter Spaß und Satire“ – in acht gemeinsamen Kabarettistenjahren so ihre Erfahrungen gesammelt. An einen Gewölbekeller erinnern sie sich besonders gern. Eine Wendeltreppe führte hinunter. Dieses Detail nutzte Christoph sogleich für einen Kalauer:

Frage: Was haben Max und seine Aktentasche gemeinsam?

Antwort: Beide werden zur Arbeit getragen.

Eine große Behindertenorganisation hatte zur Weinprobe geladen. Ein Abend für Gönner und Spender. Osterritter und Schunck sorgten fürs Rahmenprogramm. Es mögen die Fässer an den Wänden gewesen sein, vielleicht auch die milde Wirkung eines ausgereiften Jahrgangs: Jedenfalls ließ sich der Redner, ein Behindertenfunktionär, zu sprachlichen Höhenflügen hinreißen – ohne zu bedenken, daß Osterritter und Schunck für ihr Programm gern auf eigene Erlebnisse zurückgreifen. Monate später, auf der Bühne vom „Saramouche“ klingt das dann so:

Chris: „Ist es nicht gerade die Kulturpflanze Wein, die uns Behindertenfunktionären ein herrliches Bild der Menschen zeichnet, die wir betreuen? Hat nicht auch der Wein manchmal zwei krumm und schief wachsende Arme, die ohne Hilfe nutzlos in den Himmel wachsen würden? Muß nicht auch beim Wein eine sorgsame Selektion getroffen werden, auf daß man ...“

Halt, Moment mal, Satire darf alles, unbestritten, aber wäre in diesem Fall nicht weniger mehr gewesen? Christoph, der zum Duo „Drei Meter Spaß und Satire“ immerhin einen Meter achtzig beiträgt und mit seinem jungenhaften Gesicht oft für Max' Zivi gehalten wird, zieht die Mundwinkel nach unten. Das Wort Selektion hat nicht er dem Funktionär in den Mund gelegt, „der hat sich selber um Kopf und Kragen geredet“.

„Ist es nicht schön zu wissen, daß auch aus funkelndem Wein, der den Ansprüchen nicht vollständig genügt, noch ein brauchbares Mitglied unserer Gesellschaft werden kann. Wer von uns kann in der Küche schon auf Essig verzichten?“

Die Chefs von „Aktion Sorgenkind“ anscheinend schon. Einmal hat Max den Geschäftsführer gefragt, wie viele Behinderte zur Belegschaft gehören. Der hat einen Augenblick nachgedacht und dann geantwortet:

„Meines Wissens keiner. Aber die Frau in der Telefonzentrale, die sieht ziemlich behindert aus.“

Das Leben schreibt bekanntlich die schrillsten Pointen. Zum Beispiel: Am Samstag veranstaltet „Aktion Sorgenkind“ eine Gala in Berlin, um die „Aktion Grundgesetz“ vorzustellen, mit der Behindertenverbände das Diskriminierungsverbot in Erinnerung rufen wollen. Außergewöhnliches Ambiente soll die „Universal Hall“ in einem ehemaligen Wasserwerk in Berlin-Moabit garantieren. Der Saal stellt für gehbehinderte Menschen eine echte Herausforderung dar. Deshalb wird eigens ein behindertengerechter Toilettentrakt angebaut.

Max und Christoph kann das egal sein. Vielleicht machen sie im nächsten Programm eine böse Nummer daraus. Ursprünglich sollten die beiden bei der Gala auftreten. Anfang September wurden sie von der zuständigen Agentur gebeten, sich den Termin unter allen Umständen freizuhalten. Aber seit Karl- Josef Mittler, Vize von „Aktion Sorgenkind“ am 11. September die Premiere von „Über kurz oder lang“ gesehen hat, hat die Begeisterung des Veranstalters für Behindertenkabarett merklich nachgelassen. Die beiden wurden wieder ausgeladen. Der Moderator der Gala, Roger Willemsen, wolle keine Wortbeiträge zwischen den Talkrunden. Christoph Schunck fragte bei Willemsen nach und erfuhr, daß der aufs Rahmenprogramm gar keinen Einfluß hatte. Mittler schob eine zweite Begründung nach: Das Beiprogramm sei zu lang und müsse zusammengestrichen werden.

Dabei hätten die beiden den festlichen „Event“ sicher nicht mit der Ansprache aus dem Weinkeller verdorben. Passender wäre eine andere Nummer gewesen:

„Die beliebte Unterhaltungssendung ,Behinderte suchen ein Zuhause, die Sendung mit Herz für Menschen mit Macken‘: Max ist zweiundvierzig Jahre alt, und sein Sternzeichen ist der Fisch. Er ist ein lebenslustiger kleiner Geselle, der immer für einen Spaß zu haben ist. Der Max hat heute seinen Freund mitgebracht. Die beiden sind unzertrennlich und können nur zusammen abgegeben werden.“

Die Zuschauer im ausverkauften „Saramouche“ johlen. Die meisten sind gekommen, weil das Lokal im Sauerland einen Ruf hat bei Leuten, die gutes Kabarett sehen wollen. „Osterritter und Schunck – Drei Meter Spaß und Satire“, hat in der Zeitung gestanden. Kein Hinweis auf eine Betroffenheitsnummer. Ein ganz normales Samstagabend-Kleinstadtpublikum. Genau das Publikum, das die beiden haben wollen.

Bei einem Teddy-Typen in der dritten Reihe fällt der Groschen kurz vor der Pause. „Mensch, deshalb die drei Meter! Weil der eine so kleen is!“ Es stimmt ganz genau: Ein Meter achtzig gehen für Chris weg, bleiben ein Meter zwanzig für Max übrig. Und nicht mal die sind so richtig in Reih und Glied. „Faszinierend“ soll der Röntgenarzt gestaunt haben, der Max' Knochenbau untersucht hat.

Faszinierend ist Max Osterritter für viele Leute, die ihn mit seinem Kinderrädchen den Bahnsteig entlangdüsen sehen. Die meisten reagieren erstaunlich gelassen, wenn plötzlich neben ihnen ein Zwerg in konzentrierter Energie von seinem Rädchen rutscht, haarscharf neben dem Gleisschacht auf dem Bauch landet und seine kurzen Arme nach dem Waggon streckt. Spätestens, wenn er mit hochrotem Gesicht die sperrigen Gitterstufen hinaufrobbt, stürzt von irgendwo ein entsetzter Bahnbeamter herbei, der Max bereits auf den Gleisen liegen sieht. Während der Beamte noch überlegt, wie er diesem Bündel Mensch unter die Arme greifen könnte, hat sich Max von Christoph das Rädchen hochreichen lassen und ist auf der Suche nach einem Sitzplatz.

Staunende Kinder bleiben stehen. Erwachsene schauen, suchen Augenkontakt und wenden sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten zu. Natürlich erlebt Max auch absurde Szenen, vor allem mit älteren Damen. Die streichen ihm über den blonden Haarschopf und fragen seinen Freund Chris: Darf der Kleine ein Stück Kuchen?

Oder mit der Lufthansa. Als er zu einer Talkshow beim Bayrischen Rundfunk mußte, war das Kölner Bodenpersonal einem Max mit Dreirad auf dem Rollfeld nervlich nicht gewachsen. Verschnürt wie ein Postpaket, wurde er im Rollstuhl zum Flugzeug geschoben. Max haßt Rollstühle. Für den Rückflug war er vorgewarnt, gab sein Dreirad nicht her. Flitzte übers Rollfeld, hievte sich in den Sitz, das Dreirad kam zum Handgepäck.

Sicher haben die meisten Menschen im Umgang mit Behinderten dazugelernt. Aber daß eine Zugfahrt mit Max schon nach einer halben Stunde ganz normal zu sein scheint, liegt vor allem an ihm selbst. Er ist auf eine normale Grundschule gegangen, hat in einem Gravurbetrieb gearbeitet und erst spät andere Behinderte kennengelernt. Von klein auf hat er Kinder-Dreiräder als fahrbaren Untersatz benutzt und zwei im Jahr verschlissen, bevor er seine stabile Spezialanfertigung bekam.

Das blaue Rädchen ist auch auf der Bühne immer dabei. Da sitzt ein fleischgewordener Gartenzwerg mit unbeweglichem Gesicht, die Zipfelmütze schief in der Stirn, den Kinderrechen in der Hand. Und schimpft: In seinem letzten Job, als Heinzelmann, war es nicht besser, zugegeben. Aber seit die Goldfische weg sind, langweilt er sich hier auf dem Rasen zu Tode.

„Und wie die immer glotzen. Wie die Leute mich anglotzen und ich darf nich' mal zurückglotzen – das steht in meim Vertrach...“

Die Girlies in der ersten Reihe kreischen hingerissen. Aber es kommt noch besser. Max, lässig ans Rädchen gelehnt, Designer- Hosenträger, seine Cordhosen schimmern in sanftem Orange, schmettert ins Handmikro:

Das ist meine Insel, meine Welt.

Hier bin ich König, hier bin ich Held. Niemand fragt danach, wie ich ausseh'. Hier bin ich so, wie ich bin, o.k.

Die Girlies haben ihre Feuerzeuge rausgefischt und schwenken das Flämmchen im Takt. Max hat es geschafft. Er ist der Star, die Mädels sind seine Groupies. Sie lachen Tränen – über sich, über den verrückten Kerl da vorn, über diese ganze verrückte Welt. Ganz am Schluß kommt die Nummer, wo Max so traurig schaut.

„Ich hab mich verliebt“, erklärt er seinem besorgten Freund Chris. „Aber Max, da mußt du doch nicht traurig sein. Das ist doch was Tolles. Wer ist sie denn? Kenn' ich sie?“ Max gibt sich einen Ruck: „Die Blonde, ganz vorne links.“ Chris (sichtlich schockiert): „Eine Zuschauerin? Aber Max, die Vorstellung ist doch zu Ende, die siehst du nie wieder!“ „Deshalb bin ich ja so traurig!“ „Mensch, Max, dann tu doch was, lad sie zum Kaffee ein, irgendwas...“ Chris verdrückt sich von der Bühne, Max schnappt sich sein Rädchen und schiebt sich zu dem Mädchen hin. Er streckt ihr eine rote Papiernelke entgegen.

Sein Arm ist zu kurz, und einen Augenblick schwebt die Nelke überm Bühnenrand. Die Zuschauer halten den Atem an. Keiner lacht mehr. Alle zittern mit Max. Da beugt sich das blonde Mädchen vor, lächelt und greift nach der Blume. Alle spüren, daß in dieser Szene Komik steckt, aber auch Trauer und Verzicht.

„Scheiße, ich muß aufs Klo!“ kreischt Max, grimassiert ein letztes Mal furchterregend ins Publikum und flitzt quer über die Bühne, wo ihn der schwarze Vorhang schluckt.

Der Saal explodiert in Erleichterung. Es darf gelacht werden.

Wenn sich der Bundespräsident davon selbst überzeugen will, kann er das nachholen: Am 20. November bei den WDR-Mitternachtsspitzen werden „Drei Meter Spaß und Satire“ zu sehen sein.