: "Europa braucht eine Beschäftigungspolitik"
■ Der Europaabgeordnete der Grünen, Frieder O. Wolf, über seinen Wandel zum Euro-Befürworter und die europapolitischen Positionen seiner Partei
taz: Wurde es Ihnen zwischen Stoiber und Gysi auf der Bank der Euro-Gegner zu ungemütlich?
Frieder O. Wolf: Da war ich doch nie. Ich sehe bloß jetzt keine Möglichkeit mehr, in dem verbleibenden Zeitraum bis zum Ende des Jahres in Deutschland eine sinnvolle Verschiebungsdebatte zu führen. Und nachdem sich die französische Regierung strategisch auf Korrekturen innerhalb des Zeitplans festgelegt hat, gibt es im europäischen Feld niemanden mehr, auf den man sich mit einer Verschiebungsforderung stützen könnte.
Die PDS ficht weiter für eine Volksabstimmung über den Euro.
Eine Volksabstimmung hätte man, wenn, dann 1992 machen müssen. Dieser Zug ist abgefahren. Jetzt geht es darum, die notwendigen Korrekturen vorzunehmen.
Wieso sollte sich bis zur Entscheidung im Frühjahr ändern, was bislang scheiterte?
Immerhin ist da die neugewählte französische Regierung. Und auch Blair ist nicht gleich Mayor. Ich erwarte, daß der Beschäftigungsgipfel in Luxemburg die Tür aufmacht für eine wirksame Beschäftigungspolitik, und ich erwarte, daß der noch wichtigere Gipfel im Dezember zu einem verbindlichen Verfahren der europäischen Koordination in der Wirtschafts- und Steuerpolitik führt.
Ihr Wort in des Bundeskanzlers Ohr. Der sperrt sich gegen eine europäische Beschäftigungspolitik.
Die deutsche Regierung hat vor Amsterdam immer gesagt, es werde kein Beschäftigungskapitel geben. Dann gab es das doch. Die Kommission und die Mehrheit der Regierungen wollen, daß hier endlich etwas passiert.
Sie fordern die Umverteilung der Arbeit und neue Formen öffentlich verantworteter Arbeit in sozial und ökologisch nützlichen Bereichen. Das ist selbst bei den Grünen umstritten.
In der Bundestagsfraktion ist das in der Tat umstritten. Auf europäischer Ebene ist das breiter Konsens. Wobei ich das gewollte Mißverständnis gerne ausräumen möchte, daß hier eine gigantische ABM-Förderung gefordert werde. Das stimmt nicht. Wir wollen eine öffentliche Finanzierung des dritten Sektors. Das ist ein effizientes Konzept. Das soll zum Teil durch Ökosteuer finanziert werden.
Die ist doch bereits verplant.
Das ist nicht wahr. Mancher in der grünen Bundestagsfraktion möchte damit die Einkommensteuerreform finanzieren. Das entspricht nicht unserer Beschlußlage.
Wie soll denn die Beschäftigungspolitik auf europäischer Ebene finanziert werden?
Ich erwarte, daß der Wirtschaftsgipfel im Dezember die Weichen stellt für eine gemeinsam geregelte Unternehmensbesteuerung, für eine betrugsfeste Mehrwertbesteuerung und für eine europäische Energiebesteuerung.
Das kann dauern. Gibt es Quellen, die jetzt für ein Beschäftigungsprogramm nutzbar wären?
Das Europäische Parlament hat 150 Millionen Ecu jährlich für die Beschäftigungspolitik beiseite gelegt, die Europäische Entwicklungsbank will ihre Reserven dafür aktivieren. Das wären mehrere Milliarden. Nach Ansicht der Grünen wären auch die über 30 Milliarden Ecu Reserven der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl für diesen Zweck zu nutzen.
Der Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Hankel empfiehlt, erst die nationalen Arbeitsmärkte in Ordnung zu bringen und sie dann europäisch zu harmonisieren. Alles andere würde zu furchtbaren Friktionen führen. Deutschland hätte mit einem massiven Zuzug aus Billiglohnländern zu rechnen.
Das glaube ich nicht, denn die Migration in Europa ist nicht die gleiche wie in den USA. Das wird sich auch durch den Euro nicht ändern. Wenn man allerdings nicht eine Korrelation zwischen einer Beschäftigungspolitik und der Einführung des Euro herstellt, und da hat Hankel recht, gibt es eine instabile Situation.
Ließen sich denn die deutschen Sozial- und Arbeitsmarktstandards im Rahmen einer europäischen Angleichung halten?
Natürlich muß man beide Standards auch in Deutschland modernisieren, dann ließe sich aber ihr Niveau halten.
Sie würden europäisches Niveau werden?
Es gibt in den europäischen Staaten unterschiedliche Reproduktionsniveaus. Daraus folgt nicht, daß die Leute ihr Land verlassen...
...noch nicht.
Daraus folgt, daß es kein Land geben darf, in dem die Lebensrisiken der abhängig Beschäftigten ungesichert sind, und daß in keinem Land die Menschen unter die Armutsschwelle sinken. Das halte ich für erreichbare Ziele.
Dazu müßten Gelder massiv umverteilt werden.
Das wird sicherlich nicht zum Nulltarif zu machen sein. Es ist allerdings zu machen, ohne ein System des Finanzausgleichs, wie es zwischen den Bundesländern existiert.
Aber die Strukturfonds würden weitaus stärker belastet.
Ich erwarte schon, daß es da eine Steigerung geben wird. Ich denke an eine Erhöhung des Eigenanteils um 0,2 bis 0,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts, um einen Ausgleich zu schaffen. Das sage ich auch mit Blick auf die bevorstehende Osterweiterung der EU.
Die Grünen wollen alle osteuropäischen Länder aufnehmen.
Wir können es aus demokratiepolitischen Gründen nicht vertreten, diese Länder nicht aufzunehmen. Man muß sich dann über die Übergangsbedingungen und -zeiträume unterhalten. Entweder muß man mit längeren Übergangszeiträumen rechnen, oder man muß zusätzliches Geld mobilisieren.
Die Grünen wären für letzteres?
Ich kann mir beides vorstellen. Man wird nicht ganz ohne Geld auskommen, man kann da aber vieles vermeiden, indem man den Prozeß drosselt.
Davon ist im Programm keine Rede. Dort wird der Aufnahme der osteuropäischen Staaten das Wort geredet, ohne einen Zeitrahmen zu benennen.
Wir wollen, daß alle europäischen Staaten an dem Prozeß der Weitergestaltung der EU beteiligt werden. Diese Art der politischen Mitgliedschaft ist möglichst kurzfristig zu erreichen. Aber dann stellt sich natürlich beim Agrarmarkt und der gemeinsamen Währung die Frage, wie Übergänge zu gestalten sind.
Die Beitretenden wollen diese möglichst klein halten. Das wird zu Verschiebungen in den Agrar- und Strukturfonds führen, zu Lasten der bisherigen Nutzer.
Es ist ein Fehler zu sagen, daß es keine Opfer und keine zusätzlichen Kosten geben wird. Man muß diese Fonds konzentrieren und in dieser konzentrierten Form auch gleichberechtigt für die eintretenden Staaten gewähren. Nicht jeder, der heute etwas bekommt, wird auch zukünftig etwas bekommen.
Warum steht das nicht so im europapolitischen Teil des Grünen- Wahlprogramms?
Wir haben ja noch kein europapolitisches Programm formuliert, sondern nur einen Unterunterprogrammteil, in dem allgemeinste Formulierungen festgehalten sind. In ein europapolitisches Programm werden wir das natürlich hineinschreiben.
Die Grünen wollen, faßt man all ihre Forderungen zusammen, mehr europäischen Staat. Sie wollen aber keinen europäischen Bundesstaat. Was wollen die Grünen denn nun?
Ich kritisiere den Mangel an Einbildungskraft, wenn man sich nicht vorstellen kann, daß Demokratie über die Formen des Nationalstaates, wie sie das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat, hinausgeht.
Richtet sich diese Kritik auch an die eigene Partei?
Sie richtet sich auch bei uns an diejenigen, die fragen: Seid ihr für einen europäischen Bundesstaat, oder seid ihr für ein Europa der Vaterländer? Das heißt, sie richtet sich an alle, die diese falsche Alternative hochhalten. Für uns stellt sich das Problem einer Demokratisierung transnationaler Strukturen. Dieses löst sich nicht in der schlichten Fortsetzung der Regierungskonferenzen, sondern in der Kooperation der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments an einem europäischen Verfassungsprozeß.
Europa hätte auch zukünftig mit nationalen Interessen zu kämpfen?
Ja, weil die Nationalstaaten ein demokratischer Raum sind, den man nicht ohne weiteres transnational aufheben kann. Interview: Dieter Rulff
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