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Somalia unter Wasser

■ Die humanitäre Hilfe nach den jüngsten Überschwemmungen könnte zu Krieg führen

Berlin/Nairobi (taz/rtr) – Die Hilfsorganisationen kehren nach Somalia zurück. Die schwersten Regenfälle seit 30 Jahren haben im Juba-Flußtal im Süden des Landes eine humanitäre Katastrophe herbeigeführt, auf die nun die größten Hilfseinsätze seit dem Abzug der UNO vor zweieinhalb Jahren folgen. Mit Booten und Flugzeugen versuchen die Organisationen, den schätzungsweise 800.000 Menschen zu Hilfe zu kommen, die im betroffenen Gebiet leben und von Lebensmittelknappheit und Seuchen bedroht sind.

Seit dem 5. Oktober regnet es im Juba-Flußtal ununterbrochen – auf somalischen Gebiet oder im oberen Teil des Flußtals auf äthiopischem Territorium. Da vor dem Regen in der Region Dürre herrschte, schwollen die Wasser sofort an. Bis gestern bestätigten Hilfsorganisationen die völlige Überflutung von 43 Dörfern und den Tod von 448 Menschen. 45.000 Menschen sind bereits geflohen, 50.000 sitzen in der Stadt Bardhera fest, die halb unter Wasser steht.

Viele Einwohner, so berichten Hilfsorganisationen, haben sich vor wildgewordenen Nilpferden auf Bäume geflüchtet. Die Moschee der Stadt ist zum Zufluchtsort für Krokodile geworden. In den Flutgebieten herrscht aufgrund der riesigen Ausdehnungen stehender Gewässer akute Malariagefahr.

Die Auswirkungen der Flut reichen über das überschwemmte Gebiet hinaus, denn das Juba-Tal ist die Kornkammer Somalias. Der Großteil der diesjährigen Ernte in Somalia ist damit vernichtet. Sprecher von Hilfsorganisationen warnten jetzt, daß neue Regenfälle in Äthiopien begonnen haben und damit der Wasserpegel demnächst weiter ansteigen wird.

Die neue Notsituation in Somalia birgt auch politische Gefahren. Massive humanitäre Hilfe nach einer Hungersnot in der Region hatte auch vor sieben Jahren schon den Krieg eskalieren lassen, bis die UNO militärisch eingriff und die Konfrontation sich daraufhin noch mehr ausweitete. Diese Erfahrung steckt den Hilfsorganisationen bis heute in den Knochen.

Die jetzige Flut verändert die Machtverhältnisse in dem nach wie vor zwischen Milizen aufgeteilten Land: Die überschwemmten Gebiete gehören zum Herrschaftsgebiet von General Morgan, Schwiegersohn des früheren Diktators Siad Barré, der von der südsomalischen Hafenstadt Kismaju aus den Großteil Südsomalias beherrscht. Er ist Teil einer Allianz, die gegen Hussein Aidid kämpft, den wichtigsten somalischen Warlord aus der Hauptstadt Mogadischu.

Morgan wird zudem von Äthiopien unterstützt, das ihn als stabilisierende Kraft im Kampf gegen die in der Region auf beiden Seiten der äthiopisch-somalischen Grenze aktiven islamistischen Milizen sieht. Nachdem Verbündete Morgans im Oktober beinahe die Stadt Baidoa an Aidid-Truppen verloren hätten, landete nach Angaben der Morgan-Miliz in Kismaju ein Flugzeug der äthiopischen Luftwaffe mit Waffen für Morgan.

General Morgan ist es jetzt auch, der am lautstärksten nach internationaler Hilfe für „seine“ Bevölkerung ruft. „Früher half die Regierung bei Naturkatastrophen“, sagte der Warlord gegenüber Journalisten. „Da wir keine Zentralregierung haben, gibt es keine Hilfe.“ So forderte er, das Ausland müsse einspringen und zum Beispiel Hubschrauber liefern, um die Notleidenden zu erreichen. Das UN-Entwicklungsprogramm UNDP steht nun in Verhandlungen mit Frankreich über die Möglichkeit, französische Militärhubschrauber für die Hilfsoperationen zu nutzen.

Wenn aber militärisches Gerät aus dem Ausland auf seiten Morgans zur Versorgung der Bevölkerung eingesetzt wird, könnten die gegen Morgan kämpfenden Truppen von Hussein Aidid dies als feindlichen Akt ansehen und in die Offensive gehen. So könnte der Versuch, in Somalia eine humanitäre Katastrophe zu lindern, heute wieder wie bereits 1991 eine Verschärfung des Bürgerkrieges nach sich ziehen. D.J.

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