Analyse
: Love Parade als Streik

■ Die Botschaft der Studiproteste

Kaum schwächeln die hessischen Streikbeginner, übernehmen die Studierenden im Osten den Staffelstab des Protestes. Die Studentenproteste sind einfach nicht zu fassen. Das fällt schon begrifflich schwer, weil der „Streik“, wie ihn die jugendlichen AufrührerInnen nennen, alles mögliche ist – bloß eben kein Streik. Die Aktionen haben ein bißchen was von Blockade, von Auszeit zum Nachdenken. Vor allem aber kommen die demonstrierenden Zöglinge wie auf einer Love Parade daher: fröhlich, irgendwie easy, „Lucky Streik“ eben.

Seit mittlerweile sechs Wochen problematisieren Studierende (und zunehmend SchülerInnen) ein vollkommen vernachlässigtes Hochschul- und Bildungswesen. In einer Kette von Demonstrationen haben sie binnen weniger Wochen eine halbe Million Menschen auf die Straße gebracht – so viel wie die Friedensbewegung in ihren besten Zeiten. Die protestierende Jugend hat die Nation buchstäblich in einen Hörsaal verwandelt. 70 Prozent der Bevölkerung äußern inzwischen Verständnis für das Unbehagen.

Vergleicht man die 97er einmal nicht hämisch und abwertend mit den 68ern, läßt sich, bei allen Unterschieden, eine Parallele feststellen: Es kristallisiert sich ein ideeller Gegner heraus. Was den 68ern die unbewältigte Nazivergangenheit war, die morgens mit am Frühstückstisch saß, ist den 97ern der Typus des beamteten Professors. Den Studis dämmert, wer für die Reformunfähigkeit der Hochschulen verantwortlich ist. Wer anders könnte das sein als die seit 25 Jahren mit absoluter Mehrheit die Unis regierenden Professoren? Also diejenigen, die, von Beamtenstatus und Lehrfreiheit behütet, selbst Mini-Sanktionen an sich abtropfen lassen.

Mit dem Beamtenstatus aber treffen die Studierenden den Nerv von Reformprozessen, die weit über die Hochschulen hinausgehen. Staatsbetriebe, Behörden, ganze Ministerien leiden an den bürokratischen Strukturen, für die der Beamte das Symbol ist: nicht als Person, sondern als ein hochprivilegierter, unflexibler Staatsdiener. Selbst konservative Lehrstuhlinhaber gestehen ein, daß sie der Kern des Problems, der verschleppten Universitätsreform sind.

Und was tut die Politik? Mehr als billige Solidaritätsadressen hat sie nicht zu bieten. Nächste Woche wird in Bonn die Bafög-Reform sowie die Novelle des Hochschulrahmengesetzes verhandelt. Anstatt die jungen Leute an diesen zentralen Reformvorhaben zu beteiligen, geht es weiter wie gehabt: Das zynische Pingpong zwischen Ländern und Bund, zwischen Kultus- und Finanzministern nimmt seinen Lauf. Anders gesagt: Die da oben stellen gerade unter Beweis, daß sie nicht mehr können. Aber die Studierenden kümmert das nicht mehr. Sie zeigen, daß sie nicht mehr wollen. Genau besehen, ein Anzeichen für grundlegende Veränderungen – und die eigentliche Botschaft des Streiks. Christian Füller