: Vom Mörder nichts zu sehen
■ Die Studiobühne der FU mit „MMM endogene Apokalypsen“
Der Dank gilt der Klinik für Pferdechirurgie und -radiologie der FU. So liest man's im Programmfalter von „MMM endogene Apokalypsen“, einem Abend für vier Mikroständer und fünf Perform-Menschen, den die FU- Studiobühne im Theater Zerbrochene Fenster abhält. Enttäuschte Hoffnung: nirgendwo Pferde, nicht einmal das Röntgenbild eines Rosses. Dafür vier Kühlschränke, mithin einer zu wenig für fünf Darsteller. Daraus entsteht die Katastrophe. Alles wäre gut, käm' einer drauf, einen weiteren Kühlschrank zu beschaffen. Da soviel Einsicht fehlt, ist es verständlich, wenn vier zu apokalyptischen Reitern werden und einer zum Massenmörder. Das Ende der Welt als Mangelerscheinung. Wo bleibt die Kritik? Wer hat dem Mann sein Kühlaggregat vorenthalten?
Ralf Steikert gibt Fritz Haarmann. Aus dem Geist von Götz Georges „Totmacher“. Zupft an der Hose, schlingt Arme ums Haupt voll Blut und Wunden, beteuert seine Unschuld. Das macht er gut. Danach schlägt er den Kopf emphatisch auf die Brust, eine halbe Stunde lang, während seine Kollegen (auf den Kühlschränken) die Kunst der bedeutungsvollen Körperbewegung ausüben: linke Hand, rechte Hand, linkes Bein, rechtes Bein, und wieder von vorne. Schade.
Vom Massenmörder als „Ikone unserer Zeit“ nichts zu entdecken. Nur Hospitalismus und Minimalismus. Und weitgehend unverständliches Durcheinander-Gequassel, trotz Mikros. Die Tonabteilung aus der HdK dreht hingebungsvoll an den Knöpfen für Hall und Verzerrung, weil der Konzeptionist „endogen“ mit Stimmen im Kopf übersetzt und es im apokalyptischen Mörder-Schädel wohl Echos geben muß. Vielleicht schwebte Spielwart Kai Schubert ursprünglich eine Auseinandersetzung mit der ironischen Haltung von Tarrantinos McMord-Kompanien vor – der Sache näher zu treten, dazu konnte er sich jedoch nicht entschließen.
Das Wort Ikone bezeichnet ein christliches Kultbild, dem Wunderkräfte zugeschrieben werden. Allein, hier fehlt's bereits an Inspiration. Also muß Heiko Schwind mit prachtvoll gewölbter Augenbraue imponieren, Karoliina Helminen Gesicht und Worte wie Bette Middler knautschen, Ellen Schiess den Hasen machen und asig aus schwarz umrandetem Vampirettchen-Auge blitzen, Feline Langnickel mörderische Löcher in die Luft stechen. Man äugt, maskiert sich und marschiert. Wird laut. Dann wieder leise. „Freud wird uns nicht helfen. Lacan wird uns nicht helfen. Wir sind allein.“ So isses. Auch die Pferdeklinik kann daran nichts ändern. Nikolaus Merck
Bis 22. 12., Do.–So., 20.30 Uhr, Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Straße 16
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen