■ Algerien: Das Engagement Europas für die Opposition kommt spät: Langsamer Lernprozeß
Die Botschaft der Delegation des Europaparlaments, die Algerien gestern nach fünftägigem Besuch wieder verließ, ist eindeutig: Brüssel muß auf kleine diplomatische Schritte setzen. Statt lauten Polterns gelte es, den ständigen Dialog mit allen politischen Kräften zu suchen, sonst könne sich das Land endgültig abschotten. Vor allem die Zivilgesellschaft soll so unterstützt werden.
Daß diese Strategie aufgehen kann – dafür ziehen die Europaparlamentarier die Sondersitzung des algerischen Parlaments zur Sicherheitslage heran, die trotz scharfer Angriffe auf Regierung und Armee live im Fernsehen übertragen wurde. Die Parteien und unabhängigen Organisationen in Algerien hätten Lust auf politische Beteiligung, die Presse würde sich immer mehr vom Gängelband lösen.
All das stimmt. Allerdings übersehen die Europaparlamentarier eines: Präsident Liamine Zéroual hat im Auftrag der ewig mächtigen algerischen Generäle ein System aufgebaut, in dem zwar mehr oder weniger frei gewählt wird, sich aber dennoch nichts ändern wird. Die Verfassung garantiert, daß der Präsident an der Macht bleibt, selbst wenn die eigens zu seiner Unterstützung gegründete National-Demokratische Versammlung einmal abgewählt werden sollte. Zudem kann Zéroual auch noch ein Drittel der Abgeordneten im Senat selbst bestimmen.
Diese durch und durch undemokratische Verfassung wurde von der Opposition immer wieder angegriffen; die Volksabstimmung zu ihrer Verabschiedung boykottierte man. Doch damals hoffte die Opposition vergeblich auf internationale Unterstützung. Europa schwieg zu den Protesten der algerischen Opposition gegen den Wahlbetrug. Sogar als letzten Herbst nach den Kommunalwahlen fast alle Parteien auf die Straße gingen, um den offenen Betrug zugunsten der Regierungspartei RND anzuklagen, war aus Europa wenig zu hören. Die Demonstrationen wurden bald unterbunden. Die Opposition, international allein gelassen, gab auf und reihte sich in das System ein. Besser die Tribüne einer machtlosen Institution als gar keinen öffentlichen Raum, sagte sie sich.
Daß Europa jetzt die Zivilgesellschaft und die Opposition stärken will, mag man als Lernprozeß begrüßen. Doch leider ist dies heute ungleich schwieriger, als es zu Beginn der Staatsreform gewesen wäre. Was, wenn die Gesprächsbereitschaft der Regierung in Algier, die Delegationsleiter André Soulier so lobte, gerade dem Wissen entspringt, daß, gleich was passiert, alles bleibt, wie es ist? Reiner Wandler
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