Genie verpflichtet

■ Matt Demon schrieb sich mit „Good Will Hunting“ eine pubertäre Größenphantasie auf den Luxusleib. Gus Van Sant führte Regie

Der Triumph des Therapeuten ist die Niederlage seines Klienten. Nein, so argumentiert die Therapie nicht. Und doch kommt es so; weil einem die Ebenen plötzlich durcheinanderrutschen. Endlich sprengt Professor Sean McGuire (Robin Williams) die Panzerung von „Good Will Hunting“ (Matt Demon) auf. „Du bist nicht schuld, du bist nicht schuld“, heißt seine maßlose Zauberformel, die zu Tränen, männlicher Umarmung und großer Katharsis führt, während man im dunklen Kinosaal denkt: Und wie du schuld bist. Du, „Good Will Hunting“ Matt Demon, bist schuld an dem Schwachsinn, den man jetzt fast zwei Stunden lang hat über sich ergehen lassen.

Matt Demon nämlich, Jungschauspieler mit „Ivy League“- Meriten, hat sich mit „Good Will Hunting“ eine Rolle auf den Leib geschrieben, die schon daran kranken muß, daß Demon aussieht, als ob grausame Hollywood-Mogule inzwischen den Typus Leonardo DiCaprio am Fließband produzierten. Ist dieser Typus in einer anderen Rolle als der des unbeschwerten, charmanten Jungen vorstellbar? Dessen mögliches herzloses Benehmen nur seiner Unreife zuzuschreiben ist?

Nun sollen aber eine Klassenlage und das Problem der Hochbegabung der Grund für die fiesen Charakterzüge des guten Will Hunting sein. Hunting, ein mathematisches Genie aus der Arbeiterklasse, steckt in erheblichen Schwierigkeiten, aus denen ihn der preisgekrönte Mathematiker Lambeau (Stellan Skarsgard) retten will. Schließlich darf das Genie nicht so enden, daß es sich von einer Schlägerei und Vorstrafe zum nächsten Autodiebstahl und Gefängnisaufenthalt fortbewegt. Die Einwilligung in eine Therapie, so der aufgeklärten Welt letzter Schluß, ist das Sesam-öffne-dich in die Freiheit – wenn Hunting denn sein Genie in den Dienst der mathematischen Forschung des Masachusetts Institute of Technology in Boston stellt.

Nun gehen der Bewährungsgedanke, der Therapiegedanke, aber merkwürdigerweise auch die Mathematik am guten Will spurlos vorüber. Die Chancen stehen gut, daß er der Wissenschaft, der Gesellschaft und dem Glück, das in der reizenden Person der reichen Medizinstudentin Skylar (Minnie Driver) vor im steht, verlustig geht. Oh, wäre es nur so! Oh, wäre er nur ein Evariste Galois, der für diesen Stoff das Role model hätte liefern können. Nur ein wenig dieser empörte Plebejer, der dieser große Mathematiker der Gruppentheorie war, dieser glühende Republikaner, der fünfundzwanzigjährig, am 30. Mai 1832 bei einem Duell umkommt, nicht ohne in der Nacht zuvor versucht zu haben, seine der Zeit weit vorauseilende Mathematik schriftlich zu fixieren – mit dazwischen gekritzeltem „une femme“, „Stéphanie“ und „mir fehlt die Zeit!“.

Aber Good Will Hunting geht nicht um Rache für eine mögliche gesellschaftliche Kränkung. Es geht ihm um den Spaß mit den Kumpels; es geht ihm um Anmache, Schlägereien und Bier – wofür er tatsächlich Rebell genannt wird. Er dürfte das einzige mathematische Genie sein, das es in der Zeit seiner besten Einfälle niemals zur Mathematik hinzieht. Aber er ist ja der Überflieger schlechthin. Mit einem fotografischen Gedächtnis geschlagen, mit einem Luxuskörper gesegnet, von einer sorglosen Göttin mit Charme und Schönheit bedacht, die ihr Füllhorn überhaupt nicht mehr zubekam.

Immerhin wurde kaum je eine so idiotische, pubertäre Größenphantasie in einen schöneren Tanz ums Goldende Kalb umgedreht (das da „begabter junger Mann“ heißt) wie unter der Regie von Gus Van Sant. Wenige, dramaturgisch präzise plazierte Einfälle helfen ihm aus der Bredouille des Kammerspiels – und aus den Dialogen mit ihrem angelesenen Angeberwitz: das stete Ritual, wie Wills Freund Chuckie (Ben Affleck) ihn mit dem Auto abholt; die rasende Bahnfahrt vom Arbeitervorort zum Campus des MIT in den Zeiten, als Will noch glaubt, daß er mit Zuschlagen, Deklamieren und mathematischem Problemlösen über die Runden kommt, und die zähe, langsame Bahnfahrt vom MIT in die Arbeitervorstadt, als ihm dieser Glaube verlorengegangen ist. Und wenn man plötzlich – vom Hubschrauber in die Luft gehoben – Boston überblickt und dem Therapeutenzimmer entkommt, dann erhebt sich auch dieses Kinderfernsehen in den Rang eines abendfüllenden Kinofilms. Es ist schreckliches Mainstreamkino, in dem Gus Van Sant brilliert, aber wer wissen will, wie man dieses Kunststück hinkriegt, sollte sich den Film genau anschauen. Warum hat sich Gus Van Sant diesen Stoff angetan? Damit es mit den Rebellen das übliche gute Ende nimmt. Genie verpflichtet, in der Mathematik wie in Hollywood. Brigitte Werneburg

Wettbewerb: heute 20 Uhr, Zoo Palast; 14.2., 12 Uhr, Royal Palast; 20 Uhr, International; 23 Uhr, Urania