: Oder die glücklose Landung
Die Schaubühne liegt nicht am Meer: Klaus Michael Grüber inszenierte Goethes „Iphigenie auf Tauris“. Mit Wildgruber, Winkler, Wuttke und Worten voller Würde ■ Von Petra Kohse
Schön ist es, wenn der Vorhang aufgeht. Eine echte Welle aus echtem Wasser plätschert am Bühnenrand auf einen echten Strand aus Sand und Lehm. Man blickt gewissermaßen vom offenen Wasser aus auf die Insel Tauris, wo die Taurier wohnen. Hierher wurde Iphigenie von der Göttin Diana gebracht, als ihr Vater Agamemnon sie in Aulis opfern wollte für Glück beim Feldzug gegen Troja. Und hier läßt Goethe im Laufe des Stückes auch Iphigenies Bruder Orest landen, von Schuldgefühlen gehetzt, weil er seine Mutter Klytemnästra ermordet hat, weil diese den Vater ermordete wegen des vermeintlichen Opfermordes an beider erster Tochter, Iphigenie.
Oder die glücklose Landung: Frieden suchend, findet Orest die Schwester als Priesterin vor. Die, da sie den Taurierkönig Thoas nicht heiraten will, schuld daran ist, daß dieser das Menschenopfer wieder einführt. Und nun die beiden fremden Gefangenen töten soll, die sich als Orest und sein Freund Pylades entpuppen. Sie tötet sie nicht. Aber auch wenn am Ende alles gut wird: Fatale Verhältnisse sind es, auf die man gerne vom sicheren, weil menschenleeren Meer aus blickt.
Überhaupt hat Gilles Aillaud, der siebzigjährige französische Bühnenbildner und Maler, in der Schaubühne einen bezaubernd irritierenden Raum gebaut. Wellen und Strand gehen über in die Insel, auf der alles ein bißchen zu klein ist. Zarte Säulen stehen herum und extrem niedrige Bäume, unter denen dafür baseballgroße Oliven liegen. Auch dunkelt es immer sekundenschnell, und bevor es Tag wird, gibt es ein herrlich kaltes Vordämmerungslicht (Erich Schneider). Und in der Nacht leuchten an einem halbrunden Horizont nur zwei einzelne Sternbilder, der Große und der Kleine Bär.
Vom Bühnenraum abgesehen gibt es im Verlauf der Inszenierung allerdings nicht mehr viel zu sehen. Klaus Michael Grüber setzt ganz auf das Goethesche Wort. Allein dieses will er stehen lassen, und so steht es denn, und Angela Winkler als Iphigenie oder Ulrich Wildgruber als Thoas versuchen, es irgendwie zu umhüllen. Priesterin Winkler, indem sie in den Knien federt und die halbgeöffneten Hände herabhängen läßt wie eine Ente die Flügel, König Wildgruber in einem härenen Umhang, indem er seinen Text tonlos absondert oder ihn unfroh jubelt, um sich blickend wie ein melancholisches Mammut. (Der Dinotaurier wird immer trauriger...)
Statisches Texttheater, in dem Winklers Blick gebannt an des Fremden Lippen hängt, als er bekennt, Orest zu sein. Um, als er es langwierig eingeleitet und dann endlich bekannt hat, schmerzlich erschrocken aufzujaulen. Als hätte sie es einerseits nicht auch als Figur schon lange wissen können und als wäre es andererseits durch diese Information tatsächlich möglich, die Verhältnisse irgendwie zu durchschauen. Schauspieler, die sich ihren Figuren zuliebe dümmer geben, als sie sind, in der Annahme, daraus würde Feierlichkeit entstehen, Innerlichkeit.
Es entsteht aber nichts als ein Vakuum, das Martin Wuttke als Orest – erstmals in diesem Theater als Gast – mit gehetzter Verwirrtheit nach Kräften zu füllen versucht, von dem aber auch er letztlich auf zweidimensionales Format zusammengepreßt wird. Inszenierung fressen Künstler auf. Rätselhafterweise gelingt es Angela Winkler in der am Ende alles entscheidenden Szene mit Ulrich Wildgruber dann doch, irgendwie zu rühren. Er, der Barbar, will wissen, warum sie das Menschenopfer verzögert. Und sie, die Reine, Gebeutelte, gesteht, daß es ihr Bruder ist, den sie töten sollte, und daß sie viel lieber mit ihm nach Griechenland zurückkehren würde. Und er, der Barbar, sagt: „So geht.“ O Menschlichkeit, ja wirklich. Und wie Winkler da steht, mit bloßer Seele und spätjüngferlicher Kinderstimme, wie sie diesen Wildgruberkoloß anblinzelt, da gewinnt sie Stärke in der Naivität.
Aber ach, es ist nur ein Moment, und der Rest kunsthuberndes Gewerbe. Selbst vom Wasser nimmt man irgendwann nur noch den feucht-muffigen Geruch wahr. Und so etwas wie eine Umwälzpumpe, die vielleicht die Wellen macht. Die Schaubühne liegt eben doch nicht am Meer. Und damit frische Luft reinkäme, müßten wenigstens die Türen aufgehen.
„Iphigenie auf Tauris“ von Goethe. Regie: Klaus Michael Grüber, Bühne: Gilles Aillaud. Wieder von 15. bis 17.2., 19.30 Uhr, Schaubühne.
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