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Freudlosigkeit in Glitzerverpackung

Mit dem 0:0 gegen Real Madrid verabschiedet sich Borussia Dortmund aus der Champions League, und der europäische Fußball scheint sich nun endgültig dem Diktat der Futternäpfe ergeben zu haben  ■ Aus Dortmund Christoph Biermann

Auch das Ende verpuffte nur noch. Noch einmal wollte die Südtribüne einen großen, gänseschauernden Moment inszenieren und würdig die schwarz-gelben Schals in den Himmel recken. Dazu „You'll never walk alone“ singen, die Hoffnung im Herzen während sturmumtoster Nacht beschwören. Doch der mächtige Choral war nur ein schlapper Gesang, der bald verstummte. Dann war auch das Spiel aus und aller Zauber verflogen.

Die große Ernüchterung ist im Westfalenstadion aber nicht erst am Ende des schnöden 0:0 gegen Real Madrid eingetreten, dessen Mattigkeit und Blässe diese nur noch verstärkte. Fußball hat für einen großen Teil des Dortmunder Publikums zwar immer noch mit Sehnsüchten zu tun, diese sind aber schon seit geraumer Zeit durch Erfolge mehr zugekleistert als wirklich erfüllt wurden. Der Verein hat seinen Charakter verloren oder bestenfalls in Form einer inszenierten Wirklichkeit – als erdnahes Gegenmodell zum FC Bayern – bewahren können. Auch die Zuschauer haben ihre Naivität verloren, Jubel in der Bundesliga war garantiert, und am Mittwoch kamen die Großen des europäischen Fußballs. Der aufrichtige Kinderglaube an die Kämpfer im schwarz- gelben Trikot ist durch die Ränkespiele hinter den Kulissen bei gleichzeitigem Gezerre um Millionenverträge nachdrücklich zermahlen worden.

Damit hat Borussia Dortmund all jene Probleme durchlebt, die Fußball auf europäischem Spitzenniveau zu einer solch fragwürdigen Angelegenheit machen. Um in dieser Leistungsklasse bestehen zu können, sind außergewöhnliche Spieler unabdingbar. Diese werden aber inzwischen so hoch alimentiert, daß die Klubs unter dem Druck stehen, sich gänzlich in Geldbeschaffungsmaschinen zu verwandeln. Auf der anderen Seite werden die Mannschaften immer mehr zu zerklüfteten Gebilden von Einzelinteressen. Die Trainer verordnen ihren weitgehend unregierbaren Teams eine Nur-das-Ergebnis-zählt-Taktik, schließlich sind sie dafür verantwortlich, den Klubs die Plätze an den Futternäpfen zu sichern.

So hatte es auch wenig Romantik, als Jupp Heynkes die Größe des Moments zu erklären suchte, den das Erreichen des Finales der Champions League für „einen Klub wie Real Madrid“ bedeutet. Vor 18 Jahren spielten sie dort zum letzten Mal (und unterlagen Liverpool mit 0:1), vor 32 Jahren war Real letztmals die beste Vereinsmannschaft Europas. Doch der Abend gegen die geschwächten und bestenfalls tapferen Borussen war eine Bankrotterklärung für Heynkes und Real. Die Fülle von Spielern mit atemberaubender Qualität synthetisierte sich fast nie. Der Mannschaft gelangen nur wenige Kombinationen, die Mannschaft rannte aber nicht weniger als elfmal ins Abseits. Die Torchancen waren weniger schlüssige Folge eines großen Harmonierens als zufälliges Aufflackern von Klasse, während sich die Defensive auf einfachste Weise in Verlegenheit bringen ließ.

Ob es ein Fußball der Arroganz, des Zynismus oder der Angst ist, soll hier nicht entschieden werden. Aber mit ähnlich negativen Attributen könnte auch Inter Mailand belegt werden, die nicht nur in den Spielen gegen Schalke 04 ein Luxusgegurke plus Ronaldo vorführten. In der Saison vor der Weltmeisterschaft jedenfalls scheint sich der europäische Spitzenfußball in eine freudlose Angelegenheit in Glitzerverpackung verwandelt zu haben.

Bei Borussia Dortmund hat man jetzt ein Jahr lang Zeit, sich auch mittwochs darüber Gedanken zu machen, wie es anders weitergehen könnte. Daß dazu eine neue Mannschaft aufgebaut werden muß, daran zweifelt niemand. Aber es geht nicht nur darum, die Protagonisten auszutauschen. Auch die Unternehmenskultur ist beim BVB auf den Hund gekommen. Borussias Manager Michael Meier gab bereits zu, daß „zuviel über Geld geredet“ worden wäre. Was man in den letzten Monaten auf dem Spielfeld sehen konnte, bestätigte auch Andreas Möller. Den Spielern ist der Spaß an ihrer Arbeit vergangen. Möller schien nicht unfroh mit der Aussicht auf ein „Jahr des Durchschnaufens“ zu sein, nach dem „man sich wieder auf solche Spiele freuen kann“. Ob solch ein Jahr wirklich zu einer erfolgreichen Neuerfindung des BVB durch sich selbst genutzt werden kann, ist angesichts der vielen Probleme kaum absehbar. Trainer Scala ist ebensowenig unumstritten wie Präsident Niebaum, dem immer noch der Rücktritt des in Dortmund inzwischen zur mythenumwobenen Heilsfigur aufgestiegenen Ottmar Hitzfeld angelastet wird. Die Frage, wie gut die Kampfkasse von Borussia wirklich gefüllt ist, ist ebenfalls noch nicht schlüssig beantwortet. Im Moment sind alle müde. Sogar die Fans, als es um die Inszenierung eines guten Schlußwortes ging.

Real Madrid: Illgner – Panucci, Hierro, Sanz, Roberto Carlos – Redondo, Karembeu, Seedorf (89. Guti), Amavisca – Raúl (74. Jaime), Morientes (90. Vicotor)

Zuschauer: 48.500 (ausverkauft)

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