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Die langen Schatten der Ustaschen

Die Enttarnung des Jasenovac-Kommandanten Dinko Sakić in Argentinien löst in Kroatien eine Debatte über die Ustascha-Diktatur aus. Kritik wird jetzt auch an Präsident Tudjmans „Nähe zum Exil“ laut  ■ Von Erich Rathfelder

Sarajevo (taz) – Schon von weitem ist das Denkmal zu sehen, ein zehn Meter hoher runder Bau, der Schwingen gleich nach oben strebt. Mit Gras bewachsene Erdhügel geben die Lage der Baracken und Einrichtungen des Konzentrationslagers an, das an dem Zusammenfluß der Una und der Sava im Herbst 1941 errichtet wurde. Zur Rechten ist ein Damm aufgeschüttet, hinter dem eine Allee von Pappeln den Lauf des Flusses Una markiert. Auf dem Damm steht ein Eisenbahnzug: Endstation. Hier wurden bis 1945 die Gefangenen ausgeladen. Serben, Juden, Roma, kroatische Widerständler, Kommunisten, Frauen, Männer, Alte und Kinder.

Hier wirkte auch Dinko Sakić. Von Dezember 1942 bis Oktober 1944 ist der heute 78jährige, aus Slavonski Brod stammende Anhänger der Ustascha-Bewegung hier Kommandant gewesen. Nach dem Krieg durch Verbindungen mit dem Vatikan nach Argentinien geschleust und später von dem Diktatorenehepaar Evita und Juan Peron beschützt, hat der Mann bisher unbehelligt in diesem Land gelebt. Bis er vor wenigen Tagen einem Fernsehteam aufgespürt wurde.

Natürlich leugnet er der inzwischen wiederum Untergetauchte alle Verbrechen, das Konzentrationslager sei fast ein Erholungsheim gewesen. Daß sein Vorgänger Miroslav Filipović-Majstorović, der erste Kommandant des Lagers und Franziskanermönch aus der Westherzegowina, nach dem Krieg wegen seiner Verbrechen hingerichtet wurde, ficht ihn nicht an. Innerhalb von nur vier Monaten soll dieser Mann Gottes Tausende Gefangene liquidiert haben.

Sakić allein wird die Folterung von und der Mord an mehr als 1.000 Gefangenen vorgeworfen, es bleibt eine Dunkelziffer. Und es melden sich weitere Zeugen. In einem Interview mit der in Split erscheinenden Wochenzeitung Feral Tribune erklärte sich Sime Klaić bereit, in einem künftigen Prozeß auszusagen. Als 16jähriger Junge zusammen mit Mutter und Schwester am 21. November 1941 verhaftet, überlebte er Jasenovac und andere kroatische Konzentrationslager. Seine ältere Schwester war als Mitglied des kommunistischen Widerstands hingerichtet worden. Sime Klaić kennt Dinko Sakić. Noch im Januar 1942 wurde er von Jasenovac in ein neues Lager, nach Stara Gradiska gebracht.

Sakić gierte nach Blut, sagt der Zeuge heute. Damals war der junge Sakić stellvertretender Komandant in diesem Lager. Im April 1942 habe Sakić Massenmorde befohlen, er ließ zum Beispiel 26 Menschen in einen Raum sperren. Die Gefangenen verhungerten dort, im Mai seien es 36 Menschen gewesen, meist alte Kommunisten, die auf diese Weise getötet wurden. Um im Krankenhaus Platz zu schaffen, habe Sakić Kranke einfach töten lassen. Wer von dem Ustascha-Wachpersonal nicht mitmachte, wurde ebenfalls liquidiert, wie Peter Nemeth, der sich den Gefangenen gegenüber menschlich verhalten hatte. Als im Sommer 1942 das Lager Djakovo geschlossen wurde, kamen jüdische Familien mit Kindern nach Stara Gradiska. Sie wurden in jenen Todesautos getötet, bei denen die Abgase in den Laderaum geleitet wurden.

Tudjman bestreitet treffen mit Sakić

Daß Sakić von den argentinischen Behörden gedeckt wurde, ist nicht überraschend, hatten doch hier viele Nazis Unterschlupf gefunden. Zu einem Politikum in Kroatien wird die ganze Angelegenheit, weil Präsident Tudjman 1994 während eines Besuches in Argentinein Sakić persönlich empfangen hat. „17 Minuten lang“, sagte Sakić stolz. Tudjman selbst streitet diese Begegnung ab.

Schon 1990 war Sakić zu den Gedenkfeierlichkeiten nach Bleiburg in Österreich gekommen, wo im Mai 1945 – nach der Kapitulation des Deutschen Reiches – mindestens 40.000 fliehende kroatische Soldaten und Zivilisten von Partisanen ermordet worden waren. Bleiburg ist ebenfalls eines der großen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs auf dem Balkan. Sakić erklärte aber damals unter dem Beifall Umstehender dem Journalisten Victor Ivancić, alles, was er tat, würde er nochmals tun, er habe stets als guter Christ gehandelt. „Ich schäme mich meines Namens nicht, ich bin sehr stolz auf ihn“, sagte Sakić wörtlich. „Alles, was wir im Krieg getan haben, war im Interesse Kroatiens und der Christenheit. Ich bedauere, daß wir nicht das getan haben, was sie uns vorwerfen, getan zu haben.“

Nachdem Sakić aufgespürt wurde, ist die kroatische Gesellschaft gezwungen, sich der Vergangenheit zu stellen. Die kroatische Presse veröffentlichte am vergangenen Samstag ein Schreiben von Justizminister Miroslav Separović an die argentinische Regierung, in der die Auslieferung des Kriegsverbrechers verlangt wird. Die Staatsanwaltschaft in Zagreb sei bereits angewiesen worden, ein Verfahren gegen Sakić einzuleiten. Da aber auch die Bundesrepublik Jugoslawien gerichtliche Schritte gegen Sakić eingeleitet hat und ebenfalls die Auslieferung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers begehrt, muß Kroatien die Ernsthaftigkeit seines Antrages nachweisen.

Kroatiens Intellektuelle fordern die Diskussion

Auch heute noch liegt das Denkmal in Jasenovac verlassen da. Von 1991 bis 1995 im serbisch kontrollierten Gebiet gelegen, ist Jasenovac seit der Wiedereroberung wieder ein Teil Kroatiens. Und damit auch die Last der Geschichte. Die Diskussion um den Kriegsverbrecher Dinko Sakić könnte dazu beitragen, in Kroatien endlich eine radikale Diskussion über die Vergangenheit und die Gegenwart zu führen. Dies fordern kroatische Intellektuelle wie Slavko Goldstein, Nenad Popović, Zarko Puhovski und viele Mitglieder der Oppositionsparteien. Tudjman müßte nun beweisen, daß er das Versprechen ernst nimmt, das er Vertretern jüdischer Gemeinden gegeben hat: daß die Verbrecher von damals vom kroatischen Staat verfolgt würden, daß die Verbrechen gesühnt werden. Warum, so fragt die Wochenzeitung Feral Tribune, geht er nicht einfach nach Jasenovac und legt einen Kranz zum Gedenken an die Opfer der Ustascha- Diktatur nieder?

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