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"Freiheit ist wichtiger als Mehl"

■ Clinton und Kohl bei Luftbrückenfeier auf dem Flughafen Tempelhof: Zeitzeuge Jens Hansen lud damals als 18jähriger die Rosinenbomber aus und schmuggelte in seinen Schuhen Zucker heraus

„Hier ist viel Schweiß geflossen.“ Jens Hansen blickt von der Zuschauertribüne am Flughafen Tempelhof auf das Rollfeld, auf dem gleich die schwarze, gepanzerte Limousine von US-Präsident Bill Clinton vorfahren wird. Als 18jähriger hatte Hansen im Oktober 1948 vom Arbeitsamt einen Job als „Belader“ am Flughafen Tempelhof bekommen. Es war harte Arbeit. In drei Schichten eingeteilt, beluden die Männer in 12er-Teams die Flugzeuge mit dem, was die Berliner Wirtschaft noch produzierte: Elektromotoren von Siemens oder Leuchtröhren von Osram. Später entlud Hansen auch die „Rosinenbomber“, die im 90-Sekunden-Takt anflogen. Acht bis zehn Minuten dauerte im Schnitt das Entladen eines Flugzeugs, US-Soldaten stoppten mit einer Stechuhr die Zeit. Auf einer Anschlagtafel wurden täglich die Zeiten der Teams – in Punkte umgerechnet – bekanntgegeben. „Am Monatsende waren wir stolz, wenn wir die ersten waren“, erinnert sich Hansen an das amerikanische Leistungsprinzip.

Wer beim Klauen erwischt wurde, wurde mit Punktabzug bestraft. Doch wenn mal ein Sack Zucker platzte, gelang es oft, etwas abzuzweigen. Mit einem Trick schafften es die Transportarbeiter, Zucker oder Grieß trotz Leibesvisitationen aus dem Flughafengelände herauszuschmuggeln. „Wir haben den Zucker in Wachstuch- oder Leinenbeutel gefüllt und in die Schuhe gesteckt. Bis zu den ersten Häusern am Tempelhofer Damm sind wir dann hochhackig gelaufen wie die Damen“, erzählt der 67jährige. „Das war schmerzhaft, aber man war froh über die zusätzlichen Kalorien.“ Zigaretten, die so manche Piloten verkauften, um sich ein Taschengeld zu verdienen, habe man „mit eingezogenem Bauch“ in Damenkorsetts rausgeschmuggelt, sagt Hansen, der später Steuerbeamter wurde.

Zur Erinnerung an die Schokolade und die Kaugummis, die Piloten damals an kleinen Fallschirmen abwarfen, wurden gestern an die 10.000 BesucherInnen der Feierlichkeiten Schokoladentafeln verteilt, die den Aufdruck „50. Luftbrückenjubiläum“ tragen. Auf der Tribüne fanden sich auch zahlreiche Schulklassen, Zeitzeugen und Veteranen ein. Bei Big-Band- Sound kam Volksfeststimmung auf. Als Guildo Horns Grand-Prix- Schlager „Piep, piep, piep“ erklang, kreischten die SchülerInnen begeistert.

Auf dem Rollfeld stehen Nase an Nase das historische Propellerflugzeug „Spirit of Freedom“ und das neue US-Transportflugzeug C-17, das gestern auf den Namen „Spirit of Berlin“ getauft wurde. „Das kostbarste Gut, das nach Berlin gelangte, waren nicht die Carepakete“, sagt Clinton in seiner Rede. „Es war vielmehr die Hoffnung, die durch den ständigen Lärm der Flugzeuge aufkam. Die Berliner nannten diese Geräusche eine Sinfonie der Freiheit.“ Oder wie es der 77jährige Pilot Gail Halvorsen, der damals als erster Süßigkeiten abwarf, formuliert: „Freiheit ist wichtiger als Mehl.“

Reinhold Koszczewski war damals 14 Jahre alt und kam oft mit seinem Vater aus Zehlendorf zum Flughafen Tempelhof, um die einfliegenden Maschinen zu beobachten. „Die Luftbrücke war für uns damals das Größte.“ Daß er Jahrzehnte später als amerikanischer Staatsbürger in der blauen Uniform der US-Luftwaffe in Tempelhof arbeiten würde, hätte er damals wohl kaum geglaubt. 1954 wanderte Koszczewski in die USA aus, knapp dreißig Jahre diente er der US-Luftwaffe. „Sergeant Ski“, so sein Spitzname, kämpfte ein Jahr in Vietnam und war auf US- Stützpunkten von Island bis Korea stationiert. Die letzten zehn Jahre vor seiner Pensionierung war der 64jährige Chef der US-Industriepolizei in Tempelhof und blieb in Berlin. In Ost-Berlin sei die Luftbrücke durchaus wahrgenommen worden, sagt Koszczewski, doch es habe viel Propaganda dagegen gegeben. Er erinnert sich an Plakate, auf denen Ostdeutschen eine Extraration von 100 Pfund Kartoffeln versprochen wurde, wenn sie SED wählen. „Das hat mich als Kind sehr abgeschreckt. Ich habe damals schon eine Antipathie gegen den Kommunismus entwickelt.“ Dorothee Winden

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