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Fliegen wie am Fließband

Die alltägliche Mühsal des Heroismus: Ein Fotoband des Berliner AlliertenMuseums zum 50. Jahrestag der Luftbrücke zeigt auch solche Bilder, die für die Propaganda des Kalten Krieges nicht so tauglich waren  ■ Von Jörg Magenau

Solche Bilder wurden damals nicht gezeigt: Das Loch im Rumpf einer „Skymaster“, die kurz nach dem Start einen Propeller verloren hatte. Oder das Wrack einer Maschine, die bei der Landung havarierte, weil der Pilot vergaß, das Fahrwerk auszuklappen. Oder die C-54, deren vorderes Rad bei der Landung abbrach, weil sie überladen war. Zum 50. Jubiläum der Luftbrücke versammelt nun ein Fotoalbum des AlliiertenMuseums auch solche Aufnahmen, die für die Propaganda nicht tauglich waren, weil sie keine strahlenden Heldengeschichten erzählen. Dabei machen gerade diese Bilder die vielfältigen Schwierigkeiten deutlich, die es zu überwinden galt, um Berlin während der Blockade von Juni 1948 bis Mai 1949 aus der Luft zu versorgen.

Im Gefolge der Währungsunion in den Westzonen wurde in dieser Phase die Teilung Deutschlands besiegelt und eine Machtbalance in Europa installiert, die trotz eines heißen Konflikts nicht zur militärischen Eskalation zwischen den Blöcken führte. Die Berliner trugen es mit Fassung, das Faustpfand der Auseinandersetzung zu sein, und trösteten sich mit der Erkenntnis: „Immer noch besser, daß die Sowjets uns blockieren und die Amerikaner uns füttern. Man stelle sich vor, es wäre andersherum.“ Denn die Blockade war keineswegs so vollständig, wie westliche Propaganda glauben machen wollte: Zwischen Ost- und West-Berlin gab es einen regen Schwarzhandel, betrieben mit sowjetischer Duldung und Unterstützung.

Das Vorwort des Air-Force-Historikers Daniel Harrington macht vor allem deutlich, aus wie vielen Zufällen, Improvisationen und Spontanentscheidungen die Luftbrücke entstand. Anfangs glaubte man noch, es handle sich nur um ein paar Tage oder Wochen, und agierte vor allem deshalb, um die Entscheidung Krieg oder Rückzug der Truppen hinauszuzögern. Die eingesetzten Piloten fürchteten einen langweiligen Job und betrachteten die Sache eher als Jux. Erst mit der Ankunft von Generalmajor Tunner Ende Juli 1948 wurden die Einsätze fabrikmäßig durchrationalisiert und die Fluggeschwindigkeit der unterschiedlichen Maschinen so angeglichen, daß der Transport fast wie ein Fließband funktionierte. Wenn die Landung nicht gleich klappte, mußte durchgestartet und zur Ausgangsbasis zurückgeflogen werden. Die täglich beförderte Gütermenge konnte von 2.185 Tonnen im Juli 48 auf 12.900 Tonnen gesteigert werden – so der Tagesrekord am 16. April 1949. Alle 62 Sekunden landete und startete da ein Flugzeug in Berlin. Wenig später beendeten die Sowjets die Blockade.

Ein bleibendes Resultat der Luftbrücke war der Flughafen Tegel. In nur 90 Tagen entstand im Sommer 1948 die damals längste Landebahn Europas. An Arbeitskräften – 50 Prozent davon waren Frauen – bestand kein Mangel. Die Alliierten zahlten gut. Dazu gab's täglich eine warme Mahlzeit – üppiger Luxus. Jörg Magenau

„Pioniere der Luftbrücke“. Mit einem Essay von Daniel Harrington. Herausgegeben vom AlliiertenMuseum Berlin. Nishen Verlag, Berlin 1998, 96 Seiten, 19,80 DM

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