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Zwischen den RillenMedien sind Mörder

■ Zwei Kurzmärchen der Kulturindustrie: Tricky und die Lo-Fidelity Allstars

Es war einmal ein ziemlich depressiver Egomane aus Bristol, der an Asthma litt. Seine Angstzustände, die er bei Erstickungsanfällen erlebte, setzte er in Musik um. Die Menschen in der großen Stadt nannten es TripHop. Sie zogen sich teures Tuch an, schlürften edle Sachen und wurden ein wenig melancholisch. Auch konnte man zur Musik des Aschenputtels gaaaanz langsam tanzen.

So ging das eine erste Platte lang. Schon die zweite war eine Studie in Klaustrophobie. Die Menschen in der großen Stadt fanden das gar nicht mehr schick und waren ein bißchen beleidigt. Mit „Angels With Dirty Faces“, nicht umsonst nach einem jener düsteren Gangster-Epen mit James Cagney aus den 30ern benannt, ist die Zeit der Kompromisse endgültig vorbei. Jeder Song ein Knast, jeder Rhythmus ein Schließgeräusch, jedes Sample ein Stöhnen der Verzweiflung.

Die Grundstimmung eines Tricky-Songs war schon immer paranoid, aber auf dem Debüt „Maxinquaye“ faserten und fusselten die Songs mit ihren vielen, ineinander verschachtelten Sounds und Samples wie kleine freundliche Pelzwesen, die zwar ein wenig widerborstig, aber doch eigentlich ganz niedlich sind. Inzwischen sind die Gremlins ausgewachsen und gar nicht mehr lieb. Auf „Angels...“ fusselt nichts, die Songs sind spartanisch instrumentiert und auf das Allernötigste reduziert. Ein Beat, der meist wie falsch zusammengeschnitten klingt, ein begleitendes, monoton wiederholtes Geräusch, Sprechgesang – das muß genügen.

Im Titelsong geht das über vier Minuten, eiert ein verquerer, leicht zerknautschter Beat wie ein kaputtes Fahrrad, während Tricky und seine Dauersängerin Martina Topley-Bird sich immer und immer wieder dieselben dreieinhalb Zeilen an den Kopf stottern. In „Analyze Me“ heißt es „Love shall leave me alone“, irgendwo anders „I wanna blow off my head in Seattle“. In „Record Companies“, zu einem Schlagzeug, das das ganze Stück nach einem Rhythmus sucht, wird der Unterhaltungsindustrie die Verantwortung für die Tode von Biggie Smalls und Tupac Shakur übertragen. In der aktuellen Single „Broken Homes“, so ziemlich dem einzigen Track mit einer erinnerbaren, wenn auch nicht sonderlich fröhlichen Melodie, singt PJ Harvey „We lose our voice more each year“ und „Murder is media“.

Natürlich ist das dann vor allem Rockmusik. Leidende Künstlerseele auf der ständigen Suche nach authentischem Ausdruck sucht Hörer, Seelenverwandtschaft zwischen Sender und Empfänger wird vorausgesetzt. Hey, das mit dem Tanzen war ein Mißverständnis. Ein bißchen Spaß gibt's an jeder Ecke. Und wenn sie nicht gestorben sind, suchen sie in der großen Stadt ihr Vergnügen lange schon nicht mehr bei Tricky.

Es war einmal ein hoffnungsvolles kleines Label aus Brighton, jener Häuseransammlung am Meer vor den Toren der großen Stadt, das nannte sich Skint. Wie so viele kleine Label vor ihm, brachte es ganz wunderhübsche Musik heraus, ließ die Beine von den Landungsbrücken baumeln und fühlte sich wohl. In diesem Fall blubberte die Elektronik, gab man sich etwas wütend und etwas intellektuell, verfremdete gerne die menschliche Stimme und zeigte den Maschinen doch, was eine Harke ist.

Dann kam die böse Großmutter. Sie hieß Sony und zahlte zwölf Millionen – ob Dollar oder gar Pfund, darüber wird hinter vorgehaltener Hand gesprochen. So wurden also auch die Lo-Fidelity Allstars in die weite Welt geschickt, um eine ganze lange Platte aufzunehmen. Das haben sie geschafft und sie „How to Operate with a Blown Mind“ genannt. Auf ihr mißt sich eine altmodische Rhythmusgruppe aus Bass und Schlagzeug mit der Elektronik. Es gibt schnelle Breakbeats, die kontrastiert werden mit fast schon parodistisch coolem Sprechgesang. Oder auch einen Jazzbar-Hintergrund, in den unwirkliche Sci-Fi-Geräusche einbrechen. Mal rappt es auch gelangweilt, mal wird ein Funk- Riff durch den Fleischwolf gedreht. Das Unternehmen schließt mit einem Stück namens „Nightime Story“, das endlos dahinharmonisiert mit lieblicher Frauenstimme in Endlosschleife, Valium für Hartgesottene.

Das alles hört sich als Idee besser an, als es auf der Platte tatsächlich umgesetzt ist. Die Beliebigkeit der verwendeten Zitate endet in Belanglosigkeit. Auch wenn der eine oder andere Song für einen Moment funktioniert, reitet er sich durch die Monotonie, die sich als einzige Konstante durchzieht, meist selbst wieder tot. Dann kommt in eigentlich jedem Song dieser Augenblick, in dem er zum Experiment mit dem Loop zu werden scheint. Als sollte der repetitive Charakter elektronischer Musik erforscht werden. Ein ehrenwertes Anliegen, wenn auch ziemlich beliebt momentan. Doch eh egal, denn der Moment geht schnell vorbei, die Allstars machen aus allem schlußendlich dann doch wieder nur Rockmusik. Rock heißt hier allerdings weniger Authentizität als die ironiefreie Wiederbelebung bestimmter Klischees, die sich vor allem durch ihre Anti-Pop-Haltung auszeichnen. Und wenn sie nicht gestorben sind, wartet die Großmutter immer noch auf ein Körbchen, mit Gaben reich gefüllt. Und das zu Recht. Thomas Winkler

Tricky: „Angels With Dirty Faces“ (Mercury/PolyGram)

Lo-Fidelity Allstars: „How to Operate with a Blown Mind“ (Skint/Epic)

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