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Zukunftsvisionen und Pfälzer Saumagen

Beim 93. Deutschen Katholikentag wollen die Gläubigen über den Weg ins dritte Jahrtausend diskutieren. Gegenüber den Kirchenreformern wird dabei Toleranz geübt – doch die Basischristen bleiben wieder außen vor  ■ Aus Mainz Bernhard Pötter

Jürgen Schupp ist voller Hoffnung. Mit einem Packen der Obdachlosenzeitung Straßenfeger im Arm schlendert er durch die Mainzer Fußgängerzone. Rechtzeitig zum großen Kirchentreffen versucht das Straßenblatt aus Berlin, mit einer Sonderauflage von 20.000 Exemplaren im Rhein- Main-Gebiet Fuß zu fassen. Mit Berichten über kirchliche Obdachlosenarbeit oder seelsorgerische Hilfe für Gefangene will der Straßenfeger auch das pfälzische Herz erweichen. Für Schupp ist klar: „Nach dem Kirchgang sind Katholiken besonders barmherzig.“

Der publizistische Expansionsplan könnte aufgehen. Denn noch bis zum Wochenende versammeln sich in Mainz Zehntausende von Gläubigen zum 93. Deutschen Katholikentag. Unter dem Motto „Gebt Zeugnis von Eurer Hoffnung“ wollen sie über den Weg der Kirche ins dritte Jahrtausend diskutieren. Der im Vergleich zu anderen Katholikentagen erstaunlich geringen Beteiligung von 25.000 Dauergästen steht ein kaum überschaubares Mammutprogramm mit über 1.000 Veranstaltungen gegenüber. Das offizielle Programm nennt mit den Themengruppen „Bewahrung der Schöpfung“, „Völkergemeinschaft, Europa, Eine Welt“, „Politik, Staat, Demokratie“, „Dialogfähige Kirche“, „Kultur“, „Wirtschaft“ und „Bildung“ so ziemlich alles, worüber sich zu reden lohnt. Das Angebot unfaßt den klassischen Bauchladen kirchlicher Großveranstaltungen: Gottesdienste ebenso wie politische Diskussionen, den Soldatengottesdienst und den Workshop mit Greenpeace-Aktivisten, das Männerzentrum neben dem Kreativworkshop „Sakraler Tanz“.

Der deutsche Katholizismus will klären, wie es weitergehen soll. Diesen Anspruch formuliert niemand so laut wie der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), der sächsische Bildungsminister Hans-Joachim Meyer. Gerade das vergangene Jahr hat die katholische Kirche in Deutschland arg gebeutelt. Zu der ohnehin angespannten Finanzlage durch Austritte und hohe Arbeitslosigkeit trat die vatikanische „Laieninstruktion“, die den Nichtpriestern, den Laien, den Platz in den Gemeinden streitig machte. Schließlich kam auch noch die Anweisung aus Rom an die Bischöfe, aus der Schwangerschaftsberatung auszusteigen. Beim Katholikentag, der vor allem ein Treffen der Laien ist, gibt es deshalb demonstrativ viel Lob für die so aus Rom gescholtenen Laien. Dazu gehört auch der Rückblick auf die 150jährige Geschichte der Katholikentreffen, die 1848 in Mainz begannen und 1948 nach dem traumatischen Erlebnis von Krieg und Naziterror ebenfalls in Mainz erstmals wieder aufgenommen wurden.

Die Amtskirche zeigt sich in Mainz konziliant. Bei der Eröffnungsveranstaltung dürfen die innerkirchlichen Reformer vom „Kirchenvolksbegehren“ von der offiziellen Bühne herab fordern: „Die alten Zöpfe müssen ab.“ Der ob seines sozialen Engagements von Rom geschaßte französische Bischof Jaques Gaillot ist eingeladen. In der Fußgängerzone präsentieren sich neben den wenigen Papsttreuen und fundamentalistischen Lebensschützern die Mehrheit der reformerischen Kirchenverbände ebenso wie die Linksabweichler, die einen offenen Umgang der Kirche mit Homosexuellen und den Rechten der Frauen fordern.

Doch die Einheit hat ihre Grenzen. Auch die „Initiative Kirche von unten“ präsentiert sich in Mainz – allerdings wie in den Vorjahren nicht im offizielln Programm. „Das Verhältnis ist trotz der verbalen Entspannung schlechter als früher“, meint ihr Sprecher Tom Schmidt. Gegen den 13-Millionen-Etat des Katholikentages nehmen sich die 100.000 Mark für die Gegenveranstaltung mit dem Motto „Unsere Hoffnung heißt Gerechtigkeit“ klein aus. „Aber wir bekommen keine Unterstützung und müssen etwa jeden Einsatz des Technischen Hilfswerks voll bezahlen“, sagt Schmidt.

Für ihn ist der Kirchentag von unten das Salz in der katholischen Suppe: „Das Thema des Tages ist doch zum Beispiel bei der Arbeitslosigkeit oder den Flüchtlingsfragen die Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen“, so Schmidt. „Weil der Katholikentag das nicht zum Schwerpunkt macht, tun wir es.“ Für Schmidt bleibt die Basisveranstaltung notwendig – trotz aller Umarmungsversuche des großen Bruders ZdK: „Ohne die Drohung mit der Alternative ,Kirche von unten‘ wäre die Kritik im offiziellen Programm nicht möglich.“

Viele Besucher suchen allerdings nicht den politischen Streit, sondern die persönliche Gotteserfahrung. „Ich will mit vielen anderen Menschen meinen Glauben erleben“, sagt die Religionslehrerein aus Bad Kreuznach, die ihren Nahmen lieber nicht sagen will. „Im Unterricht erlebe ich, wie die Schüler mit einem Glauben etwas haben, woran sie ihre Hoffnung knüpfen können. Die anderen sind viel passiver.“ Gudrun Nitsche aus Offenbach dagegen hat überhaupt keine Zeit gefunden, „mir das 570 Seiten dicke Programm anzusehen“. Auf ihrer Schürze prangt das Katholikentag-Logo: der springende Delphin, den die Organisatoren gewählt haben, um Zuversicht und Hoffnung auszudrücken. Und wegen des Delphins gibt es für die Speisung der Tausende aus ökologischen Gründen keinen Thunfisch. Gudrun Nitsche kümmert das an ihrem Stand wenig: Sie verkauft schließlich beim Abend der Begegnung das Traditionsrezept der Heimat: Pfälzer Saumagen.

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