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Arbeit am Mythos

Die Love Parade hat, was alle wollen. Sie hat die alten Bilder von der Mauerstadt abgelöst und kündet von grenzenloser Flexibilität, gepaart mit Jugend und Spaß. Deshalb zieht sie Raubritter und Trittbrettfahrer an  ■ Von Tobias Rapp

Morgen ist es wieder so weit. Taxifahrer haben schon vor Wochen angefangen, Pillenvorräte anzulegen, um sie Ravern auf dem Weg vom Tiergarten nach Mitte zu verkaufen, und schon seit längerem ist es in ganz Berlin nicht mehr möglich, mobile Lautsprecheranlagen oder Generatoren zu mieten. Eine Million Raver durchtanzen den Tiergarten. Die Leipziger Straße wird wieder für Stunden gesperrt, weil vor dem Tresor geravet wird, und ein Schamane wird auf dem Höhepunkt der Love Parade an der Siegessäule die Raver, die Bäume und den ganzen Rest segnen.

Doch eines wird anders sein als in den Jahren zuvor. Während sich letztes Jahr nur der Pate von Zehlendorf, der Berliner CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus-Rüdiger Landowsky, beim Partyvolk im Tiergarten zeigte, werden es diesmal ein paar Politiker mehr sein. Was lange sich anbahnte, wird endlich perfekt: Die Stadtoberen haben die Love Parade entdeckt.

Das ist mehr als der übliche Jugendkultur-trifft-Politik-Transfer, wie ihn Tony Blair mit Oasis und Gerhard Schröder mit Udo Lindenberg zelebrierten. Love Parade – das ist mittlerweile ein Berliner Mythos. Er hat die alten Bilder von der Mauerstadt voller Kriegsruinen abgelöst und kündet von grenzenloser Flexibilität, gepaart mit Jugend und Spaß. Als Mythos soll die Love Parade nicht nur die Regierenden, sondern das Image der ganzen Stadt retten.

Sie hat es nötig. Mit der Bundesregierung läßt sich zwar ein Staat, aber kein Image machen. Und nachdem in den letzten Jahren die Länderfusion von Berlin und Brandenburg ebenso gescheitert ist wie die Olympiabewerbung, von den hochfliegenden Plänen des Senats nur der Regierungsumzug geblieben ist – und auch da absehbar ist, daß er die Abwanderung ins Umland nicht wird stoppen können –, ist die Love Parade der neue Hoffnungsträger.

Es klingt zwar noch nicht wirklich überzeugend, wenn Kultursenator Peter Radunski einen Flyer drucken läßt, auf dem er die Jugend der Welt nach Berlin lädt; oder wenn er im Stadtmagazin zitty seiner Vorfreude darüber Ausdruck verleiht, „mit Ravern aus aller Welt“ ins Gespräch zu kommen. Doch die senatsnahe PR- Agentur „Partner für Berlin“ hat bereits einige Jugendkulturbeauftragte nach New York geschickt (siehe taz vom 6./7. Juni): Exportartikler in Sachen Image, mit einigen Wassern gewaschene Vertreter einer postmodernen Berliner Gründerzeit, die Super-Berlin 2000 endlich die gebührende Weltgeltung verschaffen könnte.

Wie konnte das passieren? Daß die Love Parade zwar nicht gegen, aber vollkommen vorbei an der Stadt und ihrer öffentlichen Wahrnehmung entstanden ist, daß noch 1993 fast 50.000 Menschen den Ku'damm hinabtanzten, ohne daß sie größere Erwähnung in der Presse fanden, begünstigt den Mythos einer Techno-Gründerzeit noch. Je obskurer die Anfänge, um so durchschlagender später der sichtbare Erfolg und um so wirksamer das Wissen um Flexibilität und Offenheit, das Anfang der Neunziger akkumuliert wurde. Diejenigen, die damals neue Netzwerke bildeten, waren Vertreter eines neuartigen Know-hows.

Vom Underground zum Multimediabüro

Daß es genau diese Offenheit damals nicht gegeben hätte, wenn es die Ordnungsmacht besser gewußt hätte, daß eine Jugendkultur namens Techno nur entstehen konnte, weil sie größtenteils unsichtbar war, fällt in der hauptstädtischen Selbstdarstellung weg. Ganz davon zu schweigen, daß die öffentlichen Räume genau von jenen, die sich jetzt mit der „Kreativität“ ihrer Stadt schmücken, immer weiter verengt werden. Wo einst das WMF war, das Elektro, der Friseur, das Suecide und zahllose andere halb- und ganz illegale Clubs, stehen und entstehen heute genau jene Büroetagen, die Berlin und seine Investoren nicht vermietet bekommen. Auch deshalb braucht man mehr Image.

Nun ist es ganz normal, daß Clubs auf- und zumachen. Das vielbeschworene Clubsterben ist selbst schon integraler Bestandteil einer ganz anderen Erzählung: Alles wird immer schlimmer. Der übliche Hauch von Verschwörungstheorie liegt darüber. Doch es zeugt schon von einer gewissen Perfidie, mit der Geschichte von Techno-Berlin – die eine Geschichte all jener Clubs ist, die es nicht mehr gibt – der Stadt ein Image zu geben. Denn reduziert man die Imagearbeit am Mythos des jungen Berlin auf ein Bild, dann geht es darum, UrbanitInnen in die Stadt zu locken, um dort, wo früher das Nachtleben tobte, ein Multimediabüro zu eröffnen.

Keine Gründerzeit ohne Protagonisten. Hier sind, seit mit dem Herausgeber des Techno-Magazins Frontpage, Jürgen Laarmann, der Prototyp „sympathisch-größenwahnsinniger Bankrotteur“ abgetreten ist, zwei Modelle vorherrschend. Da wäre zum einen der Typus „Hansdampf in allen Gassen, die zur Datenautobahn führen“, repräsentiert durch Marc Wohlrabe. Der Herausgeber des Partyblatts Flyer und Organisator von BerlinBeta (der ersten Berliner Multimedia Messe im Spätsommer) steht irgendwo zwischen Risiko-Kapital-Akquise und Underground für eine Haltung, die die Welt als Netzwerk begreift, wo nur die richtigen Enden verbunden werden müssen, und sie wird nicht nur schöner und besser, nein, alle Beteiligten verdienen auch noch daran. Auf der anderen Seite steht das Modell Ralf Regitz. Regitz ist Chef der Event-Agentur planetcom. die unter anderem auch die Love Parade organisiert, somit Kopf des ganzen Spektakels und der Prototyp des postmodernen Berliner Raubritters. Wer es schafft, die Bildrechte an einer angemeldeten Demonstration für 800.000 Mark an den SFB zu verkaufen – und die Anstalt außerdem noch vertraglich dazu zu verpflichtet, die Weiterverwertungsrechte den Organisatoren zu überlassen (so daß Viva und RTL 2 für SFB-Material an planetcom zahlen), der kann guten Gewissens mit Klaus-Rüdiger Landowsky einen trinken gehen. Dort gehört er nämlich auch hin.

Die halb bis ganz illegalen Strukturen des Undergrounds sind in Gründerzeiten fast bruchlos auf das große Geschäft übertragbar. Der Weg vom Raverscherz, eine Party unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ als politische Demonstration anzumelden, hin zur sechsstelligen Summe, die laut Tagesspiegel die Verwendung des Love-Parade-Logos für eine Technoparade in Tokio gekostet hätte, ist so weit wie der von Dr. Motte, dem Erfinder und Parolengeber der Love Parade, zu Ralf Regitz.

Die Einfahrer dagegen, die ganze kaputte Bande der Drogeneinschmeißer und Durchmacher, sind als role models eher Auslaufmodelle. Natürlich werden sie sich Montag morgens um elf aus dem Tresor schleppen, sich in ihr Auto setzen, die Anlage aufdrehen und versuchen, die chemische Kontamination ihrer Körper mit gigantischen Wasserpfeifen zu beruhigen. Doch schon länger begibt sich keiner der Veteranen der ersten Paraden mehr in die Nähe des Tiergartens, wenn der Tag gekommen ist – es sei denn, um sich auf die Plattform an der Siegessäule zu stellen und dort zu arbeiten, sprich: Platten aufzulegen. Es liegt nicht daran, daß sie allesamt Fahrradkuriere in Dritte-Welt-Städten geworden wären oder im Schuldturm schmachten und über ihren Memoiren brüten; es liegt daran, daß es einfach keinen Spaß macht, Spaß zu repräsentieren.

Je größer und sichtbarer die Love Parade wurde, desto eindeutiger wurden nämlich auch die Räume und Verteilungen. Und selbst wenn der Tiergarten und die Straße des 17. Juni ein weiteres Mal den Anschein von lustigem Chaos erwecken werden – es ist klar definiert, wer auf den Wagen und dem Siegessäulengerüst steht und wer nicht. Fließende Übergänge zwischen Bauwagen, Telefonzellen, Partytrucks, der Straße, der Einkaufspassage, dem Bürgersteig und den Baugerüsten, wie es sie bei den ersten Love Parades gab, sind nicht nur nicht vorgesehen, sondern schlichtweg nicht mehr möglich.

Liebe in den Zeiten der Deregulierung

Doch damit kann der Gründerzeitmythos gut leben. Genau wie mit Kritik. Denn trotz Einwänden der Hochschul-Raver aus den angeschlossenen Deleuze-Lesegruppen lassen sich die „temporär autonomen Zonen“, die einige in der geilen Abfahrt und brutalen Einfahrt glaubten gesichtet zu haben, ohne größere Probleme in die „urbanen Nutzungsoberflächen“ urbanen Jungunternehmertums übersetzen. Gerade das vielbeschworene Besetzen von Räumen durch eine Party, das sich ja mittlerweile bis zu den Aktivisten der politisch motivierten „Innenstadttage“ durchgesprochen hat, ist eben nicht nur eine Schule der Befreiung, sondern lehrt genauso flexibles Verhalten in Zeiten der Deregulierung.

Das einzige, was dem Berliner Techno-Gründerzeitmythos in die Quere kommen könnte, ist die Berliner Realität. Es könnte ihm so ergehen, wie dem Neue-Medien-Entrepreneur, der auf der Achse Berlin–Rio–Tokio über den Flughafenflur eilt, die Plattentasche über der Schulter und das nächste Projekt im Kopf, und dann nicht weiter kommt als bis London. Ganz einfach, weil der Flughafen Tegel seinen letzten Direktflug nach New York vor einigen Monaten an Stuttgart verloren hat.

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