Pathologisches Schneegestöber

Raus aus dem Warenhaus, zurück in die Subkultur: „Ceterum Censeo“ präsentiert Kunst mit Witz und Trash  ■ Von Katrin Bettina Müller

Sie vermehren sich...“ beginnt ein Wandtext in der Ausstellung im Marstall, dann verschwindet die Schrift unter einer Lampe. Daß es sich dabei um Künstler handeln muß, erkennt man an den Fotografien, die Joanna Kamm dazugehängt hat. Sie zeigen alle, wie ein Leben mit mehr oder weniger Kunst in den privaten vier Wänden aussieht. „Wer glaubt, Sammeln sei ein harmloses, nettes kleines Hobby, der irrt gewaltig“ ist gegenüber zu lesen. Trotz der Mahnung liegen nicht nur auf dem Tisch von Kamms Laden S.S.K. (Sammeln Sie Kunst), sondern in allen Abteilungen von „Ceterum Censeo“ Postkarten, Info-Blätter, Programme, Visitenkarten und Minikataloge aus.

Eine Ausstellung über Aussteller und doch mehr als eine nichtkommerzielle Messe ist „Ceterum Censeo“ geworden. 25 Initiativen, Vereine, Künstlerselbsthilfegruppen, Networker, Galerien und Kuratoren aus Berlin wurden von Thomas Wulffen und Ursula Cyriax eingeladen, über 200 Künstler tauchen auf. Im Gegensatz zum exklusiven „art forum“ reagiert „Ceterum Censeo“ auf den Warenhaus-Charakter der Kunst mit Witz und dem Bekenntnis zum Trash. Zur Grundausstattung der Newcomer im Kunstbetrieb scheint heute eine Filzstiftzeichnung, ein Computer und ein Set verschwitzter Sportklamotten zu gehören, um für den Konkurrenzkampf zu trainieren.

Mitunter spiegeln sich die organisatorischen Strukturen in der Ästhetik der Kunstwerke: Im „loop-raum für aktuelle Kunst“ signalisieren mobile Sitzkisten mit einem Hauch von Kita-Atmosphäre die Auflösung ins Patchwork der Teilnehmer. In den Bildbausätzen von Sven Kalden sind es die Pixel eines Pressefotos, in die sich die Information auflöst. Es ist eine Frage der Perspektive, ab wann sich die Punkte zum Bild zusammensetzen lassen. Produzentengalerien und Selbsthilfegruppen haben zwar eine Tradition in Berlin, doch kaum ein Gedächtnis. Die Flüchtigkeit der Szene leistet der Mythenbildung Vorschub. Fast keine der im Marstall präsentierten Initiativen ist älter als fünf Jahre, die meisten sind im Sog der neuen Mitte Berlins entstanden.

„Das ist nur eine unvollständige Sammlung des vorhandenen Materials“, erläutert Wolfang Krause den Inhalt einer gelben Box, deren Blätter Projekte seiner Galerie „o zwei“ in Prenzlauer Berg dokumentieren. Wer mindestens einmal an Krauses großen Performance-Projekten in stillgelegten Schwimmbädern oder im Prater beigewohnt hat, kennt sein rühriges Talent zur Anstiftung und Umnutzung von totgeglaubten Räumen: dann sieht man die gelbe Box als sympathisches Understatement. Wer aber noch nie damit in Berührung kam, wird wohl kaum schlau aus dem kryptischen Material. Neben solchen Verweissystemen finden sich auch Installationen, die ohne Vorwissen funktionieren. Auf einem blauen Kubus läuft ein blaues Video der Gruppe „Bewegung Nurr“. An die Weihnachtswerbung erinnert das Schneegestöber vor der nächtlichen Tankstelle; bis man gewahr wird, daß statt des Firmenlogos „Aids“ an den Zapfsäulen und auf dem Tankstellendach steht.

Die 450 Quadratmeter des Marstalls reichen kaum aus für das Projekt, das sich lieber noch im Palast der Republik präsentiert hätte. Also werden auch ehemalige Lagerräume mitgenutzt. Ob sie mit dem zurückgelassenen Krempel früherer Kunstausstellungen etwas anfangen könnten, fragte die junge Kuratorin Tine Neumann „ihre“ Künstler. Der Künstler Goi hat Lagerregale zu Betten umgebaut, in denen Kohlköpfe schlafen und Mohrrüben aus den Decken spitzeln. Das hat etwas von Gemüse- Matratzen-Skulpturen der britischen Künstlerin Sarah Lucas – multipliziert mit Jugendherbergsatmosphäre – und trifft damit wieder den Nerv des Ganzen: Wir sind viele und wollen mehr. Bankprojekt Bertram Abel, BüroFriedrich, shift e.V., Die glücklichen Arbeitslosen: Die Namen der Initiativen sind Programm. Groß sind ihre Behauptungen, was Kunst alles sein könnte. Womit sie nicht zuletzt fehlende Anerkennung und Bezahlung kompensieren.

1990 gab es schon mal eine Ausstellung „Ceterum Censeo“, die sich als Korrektiv zur Ankaufspolitik des Senats verstand. Die meisten der jungen Künstler, die von den beiden Kritikern Marius Babias und Thomas Wulffen und von Heike Dander, Frank Barth und Regina Maas vom Künstlerhaus Bethanien ausgesucht worden waren, konnten sich bald einer wachsenden Anerkennung erfreuen. Vielleicht wird so auch diesmal die Teilnahme an „Ceterum Censeo“ die Karriere fördern. Doch 1990 waren die Fronten zwischen institutionalisiertem Kunstbetrieb und der Off-Szene noch eindeutig. Inzwischen hat sich in Berlin nicht nur ein Kunstmarkt etabliert, der das Tempo, mit dem Subkultur zum kommerziell verwertbaren Hype wird, beschleunigt; aufgeweicht hat sich auch die Rollenverteilung zwischen Kritikern und Machern. Deshalb wirkt „Ceterum Censeo“ ein wenig wie der Versuch der Rückmeldung einer Generation, die nicht hinter dem Rauschen der Biennale verschwinden will.

Bis 25.10., Galerie im Marstall, Am Schloßplatz 7, täglich 14 bis 19 Uhr