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Kultiviert hacken

Christine Bader zeichnet in ihrem Dokumentarfilm „Hacks“ ein vitales Bild der europäischen Hackerszene  ■ Von Tilman Baumgärtel

Wie sieht das Internet aus? Wenn das Netz der Netze im Kino auftaucht, dann normalerweise in metaphorischen Bildern: die neongrün glänzenden „Matrix“, abstrakte Computer-Psychedelia und Cyborg-Simulationen, die aussehen, als seien sie mit Airbrush- Spraydosenfarbe auf einen Motorradtank gesprüht worden. Da, wo die Kamera nicht mehr hinkommt, müssen seltsam glatte, aseptische Bilder zur Illustration der unsichtbaren Welt „im Netz“ herhalten.

„Hacks“ von Christine Bader erspart dem Zuschauer die bei diesem Sujet üblichen Cyber-Comic- Bildchen. Die Hamburger Künstlerin hat einen Video-Dokumentarfilm über die europäische Hackerkultur gedreht, der ohne visuelle Klischees auskommt.

Anders als bei dem Film „Synthetic Pleasures“, der 1996 eine filmische Adaption der amerikanischen Netzszene versuchte, verzichtet Bader weitgehend auf Bilder aus dem Computer. Ab und zu hüpft zwar ein kleines tamagotchiartiges Digitalwesen über die Leinwand. Aber im wesentlichen konzentriert sich „Hacks“ auf die Leute, die an den Rechnern sitzen – nicht auf die Computer selbst. Um das Netz zu veranschaulichen, setzt Bader sie in Züge (Eisenbahnnetz!) oder besucht sie in ihrem natürlichen Lebensraum: in unaufgeräumten Büros, vor ihren Rechnern, bei Hackertreffen in ganz Europa oder bei der Cebit.

Mit dem Material, das Bader in vier Jahren gesammelt hat, wird ein lebendiges Bild der europäischen Hackerszene gezeichnet. Da ein normales Jahr sieben Internet- Jahren entspricht, wirken einige der Aufnahmen heute schon wie historische Dokumente einer untergegangenen Epoche. An die utopischen Schwärmereien von Mitarbeitern der Amsterdamer Digitalen Stad über technisch vermittelte „Basisdemokratie“ werden sich einige von ihnen heute wohl nicht mehr gerne erinnern lassen. Gerade weil viele der „Cybervisionen“ der frühen Jahren heute schon so heillos wirken, ist es gut, daß jemand die inzwischen verflogene Netzeuphorie der frühen Neunziger festgehalten hat.

Doch Bader geht es in ihrem Film nicht nur um die Traditions- Hackerszene, um den deutschen ChaosComputerClub (CCC), die Bielefelder Mailbox Bionix oder das niederländische XS4ALL-Projekt. Zwar kommen die Protagonisten dieser Szene sämtlich vor: Hackerpäpste wie Rob Gongrip aus Amsterdam, Wau Holland und diverse andere Mitglieder des CCC oder Leute von der Digitalen Stad Amsterdam. Aber thematisch geleitet wird Baders Film von etwas, was man einen „erweiterten Hackbegriff“ nennen könnte.

„Ein Hack ist erst mal eine elegante Lösung eines kniffligen Problems“, heißt es zu Beginn des Films, und so sucht Bader, statt sich auf die Computerszene zu konzentrieren, nach „Hacks“, die ohne Rechner auskommen. So erscheint in ihrem Film zum Beispiel der Kanadier Paul Watson, ein ehemaliger Greenpeace-Aktivist, der heute im Einmannunternehmen mit seinem Schiff „Sea Shepherd“ Walfänger rammt, um sie vom Jagen abzuhalten. Watson rühmt sich, daß er mehr Schiffe versenkt hat als die kanadische Navy. Daß das die „elegante Lösung eines kniffligen Problems“ ist, darf bezweifelt werden. Und warum der bramarbasierende Watson ein „kultureller Hacker“ sein soll, wird auch nicht einsichtig. Mit seiner Crew aus männlichen Kids, die Watson Gefolgschaft bis zum Tod versprechen, wirkt das ganze Unternehmen sektenhaft und obskur.

Über solche Widersprüche geht „Hacks“ etwas schnell hinweg: Der Film ist in einem atemberaubenden Tempo montiert. Nach fast anderthalb Stunden Bilderbombardement läßt „Hacks“ den Zuschauer mit brummendem Schädel zurück. Ein paar Ruhepausen und ein etwas entspannteres Pacing hätten dem Film nicht geschadet. Doch trotzdem: Christine Bader ist mit „Hacks“ ein sehenswerter Überblick über ein halbes Jahrzehnt europäischer Hackerkultur gelungen.

„Hacks“ läuft im Eiszeit, in der Filmbühne am Steinplatz und in den Hackeschen Höfen

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