Ballzauberer als Arbeitsbienen

Trotz des 1:0-Erfolges bei Hertha BSC kann sich Vize-Tabellenführer Bayer Leverkusen nicht als legitimer Herausforderer des FC Bayern München profilieren  ■ Aus Berlin Matti Lieske

„Wenn man 1:0 gewonnen hat, kann man alles erklären“, sagte Christoph Daum nach dem Bundesligaspiel bei Hertha BSC und machte sich flugs daran, alles zu erklären. Zum Beispiel, wie der Auswärtssieg von Bayer Leverkusen, gleichzeitig die erste Heimniederlage der Berliner in dieser Saison, zustande gekommen war. 1:0, das sei nach dem harten Programm der letzten Woche sein Wunschergebnis gewesen, verriet der Bayer- Coach, obwohl natürlich „nach oben nicht limitiert“. Aber die Mannschaft halte sich eben exakt an seine Vorgaben. Ein Scherz, stellte Daum vorsichtshalber klar, der aber nichtsdestotrotz eine große Portion Wahrheit enthielt.

Die Leverkusener folgten ziemlich genau den Daumschen Vorgaben, die von einer gewaltigen Portion Vorsicht geprägt waren. Übertroffen wurde diese nur von der Ängstlichkeit, welche die Heimmannschaft an den Tag legte. Zwar beharrte Hertha-Coach Jürgen Röber eisern darauf, daß er keineswegs nur mit einem Stürmer, Michael Preetz, gespielt, sondern Andreas Thom als zweite Spitze nominiert habe, doch der letzte Anhänger des Nasenpflasters bewegte sich wie gewohnt vorzugsweise im Mittelfeld. So konnte Röber den Vorwurf kaum entkräften, dieses Heimspiel aus lauter Respekt vor dem Tabellenzweiten mit einer Auswärtstaktik bestritten zu haben – für eine Mannschaft, die auswärts noch kein Spiel gewonnen hat, nicht unbedingt eine erfolgversprechende Strategie, schon gar nicht gegen ein Team, das seine Stärken bisher eher in fremden Stadien als auf heimischem Grund demonstriert hat.

„Wir werden die guten Kontakte unseres Managers Holzhäuser zum DFB spielen lassen und unsere Heimspiele in Zukunft zu Auswärtsspielen machen“, sagte Daum gutgelaunt. Ein Scherz, wie er eilfertig betonte, bevor er – „Spaß beiseite“ – wieder zu ernsthafter Analyse überging.

„Wenn einem nichts einfällt, muß die Taktik herhalten“, dozierte der Coach, schilderte aber dennoch bereitwillig, wie er, nachdem es mit dem Kontern in der ersten Halbzeit „nicht so gut“ klappte, verfügt habe, „im Block etwas weiter vorzurücken“, und seinem Libero Nowotny Vorstöße ins Mittelfeld verordnete. Dadurch habe es mehr Anspielstationen gegeben, ergo mehr Druck, ergo ein Tor, ergo drei Punkte.

So einfach ist das – wenn man 1:0 gewonnen hat. In Wahrheit ist es die Beschreibung einer für eine Bundesliga-Spitzenmannschaft nicht gerade rühmliche Vorgehensweise, die genausogut hätte ins Auge gehen können, wenn die Herthaner eine ihrer durchaus vorhandenen Chancen genutzt hätten.

Was sich im Olympiastadion abspielte, war über weite Strecken wenig schöner Angsthasenfußball zweier Teams, die zunächst einmal nicht verlieren und erst in zweiter Linie gewinnen wollten. Verständlich, wenn auch nicht unbedingt ehrenwert im Falle der Hertha, deren Kreativität sich ohne den gesperrten Wosz bald darin erschöpfte, mit hohen Flanken den Kopf von Preetz anzuvisieren.

Ab der Mitte der zweiten Halbzeit wäre man mit einem 0:0 zufrieden gewesen, gestand Röber und hob an zu einer Lobeshymne auf die großartige und zumindest nominell offensive Besetzung der Leverkusener. „Die wollten hier gewinnen“, befand der Hertha-Coach, „das hat man gleich gesehen.“

Mit Verlaub, genau das sah man nicht. Was Daum gern bestätigte. „Wir wollten auf jeden Fall mal wieder zu null spielen“, nannte er als Priorität, „schließlich haben wir bisher eigentlich immer ein Tor erzielt.“ Eine Vorgehensweise, die nicht gerade vor Selbstbewußtsein strotzt und möglicherweise erklärt, warum die auf allen Positionen glänzend besetzten Leverkusener, die es sich sogar leisten können, einen Nationalspieler wie Paulo Rink einfach zu Hause zu lassen, in den letzten Jahren nie zu einem ernsthaften Meisterschaftskandidaten avancieren konnten.

Anstatt, wie etwa die Bayern, mit dem Anspruch eines Spitzenteams aufzutreten, das mit seinen überlegenen spielerischen Mitteln auch auswärts das Spiel gestalten und den Gegner dominieren will, wurschtelt sich Leverkusen erst mal durch und vertraut darauf, daß irgendwann irgendwie schon ein Tor fallen wird. Klappt die Sache, wie in Berlin, als Erik Meijer in der 73. Minute einen Freistoß von Beinlich ins Tor köpfte, kann sich Daum gratulieren.

Geht es schief, wie zu Hause gegen Glasgow oder in Frankfurt, wo es nach 0:2-Rückstand immerhin noch zu einem Unentschieden reichte, lamentiert er darüber, daß seine Mannschaft eine Halbzeit oder mehr verschlafen habe. Zum verhaltenen und unansehnlichen Auftreten des Teams, in dem selbst exzellente Mittelfeldspieler wie Emerson, Zé Roberto oder Beinlich weniger als Ballzauberer denn als Arbeitsbienen auffallen, passen die Ambitionen.

Den zweiten Tabellenplatz sichern, sich für die Champions League qualifizieren sind die erklärten Ziele des Christoph Daum, denn die Bayern, da ist er sicher, „können sich nur selbst ein Bein stellen“. Solcher Kleinmut drückt sich auch in Zahlen aus. Wenn in einer Woche die Münchner Bayern in Berlin gastieren, wird das bereits ausverkaufte Olympiastadion brechend voll sein. Gegen Leverkusen kamen 32.655 Menschen, gerade mal 1.162 mehr als anderthalb Wochen vorher gegen den 1. FC Nürnberg.

Bayer Leverkusen: Matysek – Nowotny – Robert Kovac, Happe – Reeb, Emerson (90. Nico Kovac), Beinlich, Zé Roberto, Heintze – Kirsten (86. Zivkovic), Meijer

Zuschauer: 32.655; Tor: 0:1 Meijer (73.)

Hertha BSC: Kiraly – Rekdal (80. Rekdal) – Herzog, van Burik – Covic, Veit, Schmidt, Tretschok, Mandreko (86. Sverrisson) – Thom (71. Dardai), Preetz