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Der Chef ist wurst

■ Große deutsche Chefredakteursrochade: Beim Wechsel an der Spitze des "Stern" gab es ordentlich Krach

Was für ein eigentümliches Geschäft der Journalismus ist, kann man immer dann beobachten, wenn Verlagskonzerne beschließen, Redaktionsleiter auszuwechseln. Ein Kabinettsrevirement ist billige Schieberei gegen diesen Akt höherer Diplomatie, der selten ganz gelingt. Da kann am Morgen ein Nebensatz auf einer Kölner Redaktionsversammlung fallen und am Nachmittag weiß man, daß in Hamburg der Stern einen neuen Chef bekommt, während in Berlin hektisch Gerüchte ventiliert werden. So am Mittwoch.

Alles begann morgens im Kölner Verlagshaus DuMont mit einer Zusammenkunft beim Kölner Stadt-Anzeiger. Chefredakteur Martin E. Süskind teilte mit, daß er das Haus verlassen werde. Ein Vertreter des Verlegers sagte, daß man das bedauere, aber erwarte, daß Süskind seinen Vertrag (läuft bis Ende 1999) erfülle – man sei ja schließlich nicht Gruner+Jahr. Dieser spitze Hinweis reichte, daß es am Mittag hektische Managerrunden bei ebendiesem Großverlag in Hamburg gab, am Abend eine Versammlung beim G+J- Flaggschiff Stern, in Berlin informelle Runden beim G+J-Blatt Berliner Zeitung. Am Abend konnte der Verlag dann die dabei panisch konkretisierte große deutsche Chefredakteursrochade nur noch hektisch bekannt geben, als sie schon längst überall herum war: Berliner Zeitung-Chefredakteur Michael Maier wird Chef des Stern und löst dort den düpierten Werner Funk ab, Süskind geht an Maiers Stelle zur Berliner Zeitung. Alles „im Rahmen der bei Gruner+Jahr langfristig angelegten Personalplanung“, versteht sich.

Langfristig ausgemacht war allerdings allenfalls, daß Werner Funk, seit 1994 beim Stern, bald gehen muß, nachdem das 50-Jahre Jubeljahr des Blattes vorbei ist. Vor den Redakteuren ließ Funk am Abend durchblicken, daß er sich einen anderen Weg gewünscht hätte, und überhaupt, mit Michael Maier habe er ja so seine Erfahrungen aus der Kisch-Preis-Jury. Dabei dreht es sich um komplizierte Kabale, an deren Ende eine Focus- Story über Funk steht, die Maier angeblich lanciert haben soll und gegen die Funk seine Anwälte aufbot. Eigentlich hatte Funk laut Vertrag das Recht (einige sagen: die Pflicht) den Nachfolger zu benennen. Doch mehrere Versuche schlugen fehl – Funk habe schlicht keinen gefunden, heißt es. Auch die Funktion des Herausgebers, in der Werner Funk sich in Henri Nannens Nachfolge gerne gesehen hatte, versagte ihm G+J-Chef Gerd Schulte-Hillen schließlich. So blieb Funk, mitzuteilen, daß er G+J den Rücken kehren werde. Großer Beifall in der Redaktionsversammlung, Champagnerkorkenknallen dagegen in einigen Redaktionsstuben. Schließlich galt Funk in der Branche als das „Charakterschwein“ (Süddeutsche Zeitung) des deutschen Journalismus. Vorzeitig erzwungene Abgänge wie es nun sein eigener wurde, pflegte er so einzuleiten: „Licht und Luft gibt Saft und Kraft“.

In Berlin führte Michael Maier schon seit längerem eher lustlos sein neuerwachtes Hauptstadtblatt und war nicht einmal mehr zur Bundestagswahl mehr am Platze. Die Berliner Zeitung stehe nun so gut da, da sei es eigentlich „wurst, wer Chefredakteur ist“, sagte er nun zum Abschied. Schon in zwei Wochen soll er nach Hamburg wechseln. Dabei fußt Maiers Selbstlob durchaus auf gewissen Erfolgen: In nur zwei Jahren machte er die Berliner von einem drögen Plattenbauprodukt zu einer der spannenderen Blätter des Landes. Logisch, daß man da im mit kreativen Jorunalisten nicht eben gesegneten G+J-Haus irgendwann auf den Österreicher kam, als es galt die Verlags-Cash- Cow zu besetzen. Doch ein Magazinmacher ist Maier, der am liebsten mit hochgekrempelten Armen antritt, ebensowenig wie Funk. Zusammen mit Maier dürfte als Stern-Vize einer nach Hamburg wechseln, den auch schon Werner funk als einen seiner Nachfolger ausersehen hatte: Doch ein Angebot Funks hatte der Berliner geschäftsführende Redakteur Oliver Herrgesell ausgeschlagen.

In Berlin überraschen konnte allenfalls noch die Wahl des Nachfolgers von Maier. Schließlich hatten einige erwartet, daß G+J-Vorstand Bernd Kundrun die Qualitätsoffensive bei der Berliner stiekum wieder abblasen werde und einen Kostenrechner einsetzt. Mit Süskind freilich setzt sich die „Süddeutschisierung“ der Hauptstadtpublizistik fort. Denn der neue trifft in Berlin auf Bekannte von der Süddeutschen Zeitung, zu deren Gewächsen er zählt: Berliner- Herausgeber Dieter Schröder war in München sein Chefredakteur, der künftige Tagesspiegel-Chef Giovanni di Lorenzo führte in München die Reportageseite. Lange Jahre war Süskind, einst Redenschreiber Willy Brandts, Bonner Bürochef der SZ und eigentlich sollte er nach dem Wunsch der Redaktion vor 1995 Chefredakteur des Blattes werden – der Verlag vereitelte das. Probleme mit dem Verleger könnte Süskind wieder bekommen: Wenn in Köln auf Vertragseinhaltung gepocht wird, dann gibt es bei der Berliner Zeitung erst einmal ein Vakuum. lm

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