: Grüner rein, PDSlerin raus
Farbenfroher Politnachmittag in Sachsen-Anhalt: Ministerpräsident Höppner beruft Grünen ins SPD-Kabinett. Landtag wählt PDS-Ausschußvorsitzende ab ■ Aus Magdeburg Nick Reimer
Die Grünen regieren wieder mit in Sachsen-Anhalt: Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) ernannte gestern Gerd Harms zum neuen Kultusminister seiner von der PDS tolerierten Minderheitsregierung. Der Bündnisgrüne, zuletzt Staatssekretär im Bildungsministerium des Nachbarlandes Brandenburg, tritt die Nachfolger von Karl-Heinz Reck (SPD) an.
Harms ist einer der dienstältesten Staatssekretäre Kultusressorts in Deutschland. Der 45jährige Politikwissenschaftler war im rot-grünen Berliner Senat des Walter Momper Staatssekretär für Jugend und Familie. 1990 wechselte er von der Spree an die Havel, um in Potsdam als Staatssekretär das Bildungsministerium mit aufzubauen. Der neue Minister – seit Mitte der 80er Jahre Mitglied der Grünen – will während seiner Amtszeit seine Parteimitgliedschaft ruhen lassen.
Der Neuwahl folgte im Landtag gestern eine Abwahl: 85 der 113 anwesenden Abgeordneten wählten Gudrun Tiedge (PDS) als Vorsitzende des Rechtsausschusses im Magdeburger Landtag ab. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit kam durch ein Zusammenwirken von CDU, SPD und der rechtsextremen DVU zustande.
Gudrun Tiedge hatte von 1971 bis 1977 der Stasi als Inoffizielle Mitarbeiterin (IM) gedient. Die heutige Rechtsanwältin hatte als Abiturientin unter dem Decknamen „Rosemarie Lehmann“ der Stasi mehrere Jahre lang handgeschriebene Berichte über die politische Gesinnung von Mitschülern und Lehrern der Erweiterten Oberschule in Grevesmühlen geliefert. Nach einem Bericht des Neues Deutschland soll Tiedge auch noch als Praktikantin bei der Staatsanwaltschaft Berichte für die Stasi geschrieben haben. Diese Tatsache verschwieg sie 1990 dem sachsen-anhaltischen Justizministerium, um als DDR-Staatsanwältin in den BRD-Staatsdienst übernommen zu werden. In der üblichen Befragung notierte sie bei Stasi-Mitarbeit: „Nein“. Erst die zusätzliche Überprüfung durch das Ministerium führte im Juli 1991 zur Entlassung als Beamtin.
PDS droht Höppner mit rechtsextremer DVU
Daß die PDS ausgerechnet Tiedge als Vorsitzende des Rechtsausschusses einsetzte, hielt vor allem die CDU für einen Affront – und strengte das Abwahlverfahren an. Keinem Opfer der Stasi sei zumutbar, seine verfassungsmäßigen Rechte durch jemanden schützen zu lassen, der Andersdenkende verraten habe oder zumindest zum Verrat bereit gewesen sei. Die SPD hatte sich – auch mit Blick auf den Tolerierungsfrieden – lange Zeit zurückgehalten. Um die Abwahl zu verhindern, schlug die PDS in dieser Woche eine neue Taktik an: Für den Fall einer Abwahl wolle man keinen Nachfolger für den Ausschußposten benennen, hatte Fraktionschefin Petra Sitte vor der Abstimmung erklärt. Dann wäre die DVU an der Reihe, das Amt zu besetzen. Sitte: „Die SPD muß sich genau überlegen, ob sie als Steigbügelhalter der Rechtsextremen fungieren will.“ Die PDS argumentiert, daß Tiedge einerseits vor der Wahl ihre Stasi-Vergangenheit bekannt gegeben hätte, sie andererseits „als großen Fehler“ (Sitte) ansieht.
Der parlamentarische Geschäftsführer der PDS-Fraktion, Wulf Gallert, erklärte, die Abwahl Tiedges sei ein Vertrauensbruch, aber nicht das Ende des „Magdeburger Modells“. Neben Gudrun Tiedge sitzt mit Jörg Büchner von der DVU ein weiterer Abgeordneter im anhaltinischen Landtag, der mit der DDR-Staatssicherheit zusammengearbeitet hat.
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