: „Der ganz legale Wahnsinn“
■ Subventionsverschwendung in der EU und die Rolle der Lobbyisten
Lutz Ribbe leitet die umweltpolitische Abteilung des Verbandes Euronatur und ist Mitglied im Wirtschafts- und Sozialausschuß der EU. Er ist Ko-Autor des Buches „Bananen für Brüssel“, das nächste Woche erscheint.*
taz: In Ihrem Buch prangern sie Mißwirtschaft und Betrug allerorten in der EU an. Sind Sie ein Gegner der Europäischen Union?
Lutz Ribbe: Im Gegenteil, das Buch ist eher ein Plädoyer für Europa. Die Lobbyisten und Subventionsverschwender zerstören die faszinierende Idee eines friedlichen Zusammenlebens in Europa. Wir wollen den Finger auf die wunden Punkte legen. So finanziert die EU zum Beispiel völlig widersprüchliche Ziele: Die Tabakindustrie etwa erhält Subventionen von einer Milliarde Euro, während die Initiative „Kampf dem Krebs“ nur 9,7 Millionen bekommt.
Was ist dabei die Rolle der Lobbyisten?
In Brüssel stehen 14.000 Kommissionsbeamten 40.000 Lobbyisten gegenüber. Alles, was Rang und Namen oder auch keinen Namen hat und wittert, daß es in Brüssel Geld zu holen gibt, macht ein Büro auf.
Dabei gehen die Lobbyisten nicht immer mit legalen Methoden vor. In Ihrem Buch berichten Sie sogar von Morddrohungen.
Lobbyisten versuchen, die Verfolgung der Abzockerei zu behindern. Man hört schon mal, daß Rechnungsprüfer der EU nicht auf ein Betriebsgelände kommen, weil Unternehmen scharfe Hunde auf sie hetzen. Oder daß Prüfer von Lastwagen von der Straße abgedrängt werden. Wo es um so viel Geld geht, wird mit harten Bandagen gearbeitet.
Ist es vor allem die Privatwirtschaft, die schummelt?
Zunehmend werden die Regierungen zu Mittätern. Um höhere Ausgleichszahlungen für die Getreidewirtschaft in Ostdeutschland zu erhalten, hat die Bundesregierung die Durchschnittserträge pro Hektar aufgerundet, ohne die Größe der angemeldeten Flächen zu überprüfen. Und schon bekommen die Landwirte 20 Millionen Euro mehr aus Brüssel.
Wo sind in Brüssel Lobbyisten, die auf Effizienz drängen?
Nirgendwo. Die Umweltverbände können diese Rolle nicht erfüllen. Eine Steuersparlobby gibt es nicht.
Wie kann dann eine größere Effizienz erreicht werden?
Ein großer Schritt wäre, wenn die Strukturfonds, die 35 Prozent des EU-Haushalts ausmachen, künftig als Kredite vergeben werden. Denn mit Geld, das man zurückzahlen muß, geht man wesentlich sorgfältiger um als mit Zuschüssen. Die Bundesregierung, die sich so unreflektiert beklagt, daß Deutschland zuviel in den EU- Topf zahlt, hat dabei doch das allergrößte Interesse, die Verschwendung der EU-Mittel einzudämmen. Denn dann würden wir auch erheblich weniger nach Brüssel zahlen müssen.
Die EU-Kommission ist wegen Korruption und Betrügereien ja heftig unter Druck geraten. Was halten Sie von Rücktrittsforderungen an die Kommissare?
Die Korruption in der EU- Kommission ist nicht das schlimmste Problem. Der alltägliche, ganz legale Wahnsinn ist viel gravierender. Interview: Britta Symma
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