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Jenseits von Kästner

■ Sagen Rotzgören heute noch "papperlapapp"? Caroline Links rundumaktualisierte Neuverfilmung von "Pünktchen und Anton"

Es ist nicht der große Wurf für den Kinderfilm geworden, den sich manche erhofft haben. Caroline Link standen nach ihrem mit „Jenseits der Stille“ erworbenen Ruhm, der bis zu einer Oscar-Nominierung reichte, ein ansehnliches Budget, etablierte Schauspieler bis in die Nebenrollen, ein Casting mit 2.000 Kindern und sogar ein Polizeihubschrauber zur Verfügung, um rechtzeitig zu Erich Kästners hundertstem Geburtstag „Pünktchen und Anton“ auf den Stand der Dinge zu bringen. Herausgekommen ist eine zwar souveräne, freilich etwas uninspirierte Auftragsarbeit.

Vielleicht hätte es nicht unbedingt „Pünktchen und Anton“ sein sollen. Keines von Kästners Kinderbüchern dürfte wohl so schwierig zu aktualisieren sein, spielen hier doch die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Hintergründe der ausgehenden 20er und frühen 30er Jahre eine ganz wesentliche Rolle. Das rororo-Lexikon beklagte bereits bei der bisher einzigen Verfilmung von 1953, daß „der pädagogische Gehalt des Buches etwas zu kurz kommt und der gesellschaftliche Hintergrund unscharf wirkt“.

Link pflanzt die Geschichte trotzdem in die Jetztzeit. Aus der Industriellentochter Pünktchen wird der Sprößling eines Herzchirurgen. Anton versucht sich und seine kranke Mutter mit der Arbeit in einer Eisdiele über Wasser zu halten. Die Gouvernante ist diesmal ein Au-pair-Mädchen aus Frankreich. Verkaufte Pünktchen ursprünglich Zündhölzer, um Geld für Anton aufzutreiben, singt sie diesmal in den Katakomben unter dem Stachus. Ausgerechnet diese Szene allerdings gerät zur unrealistischen Nummernrevue, in der die Obdachlosen als visuell attraktiver Hintergrund dienen.

Die Grundkonflikte müssen natürlich auch in Links Verfilmung ausgetragen werden, weil sonst von Kästner nichts mehr übrigbliebe. Die Freundschaft über Klassenschranken hinweg verliert allerdings ihren dramaturgischen Effekt, wenn eben diese Klassenschranken so durchlässig sind, wie sie es heute nun mal sind. Daß es dem armen Anton peinlich sein könnte, die reiche Pünktchen in seine Zweizimmerwohnung einzuladen, ist heutzutage eher unwahrscheinlich. Ebenso, daß ein italienischer Eisdielenpächter nicht mehr Angst um seinen Gewerbeschein hat, wenn er wochenlang einen Zehnjährigen bei sich arbeiten läßt. Und sagen moderne Rotzgören etwa noch „papperlapapp“?

So konzentriert sich Link vor allem auf das Verhältnis von Pünktchen zu ihren sie vernachlässigenden Eltern und die Frage, warum Menschen Kinder bekommen, die sie gar nicht wollen. Dazu hat Link die Mutter bewußt nicht ganz so herzlos und arrogant gezeichnet, wie Kästner selbst sie angelegt hat. Trotzdem läßt sie Pünktchen das Videobild der Mutter streicheln. Der ebenfalls stets abwesende Vater allerdings wird wesentlich milder und verständnisvoller gezeichnet. Da wirken Links späte 90er eher wie die mittleren 60er. Pünktchen wird zurechtgewiesen: „Es gibt Kinder, denen geht es sehr viel schlechter als dir.“ Gemeint sind die hungernden Kinder in Afrika, mit denen ganz andere Generationen dazu gebracht wurden, ihren Teller leer zu essen.

Bleiben einige hübsche Ideen wie der Kinobesuch der Haushälterin, die sich unbedingt einen Kästner-Film ansehen will. Das reicht zu einem durchschnittlichen Kinderfilm, der an hohen Erwartungen scheitert, vielleicht scheitern mußte. Die Produktionsfirma Lunaris, auch schon verantwortlich für „Charlie und Louise – Das doppelte Lottchen“ von Joseph Vilsmaier, plant bereits die nächsten Kästner-Verfilmungen. „Emil und die Detektive“ und „Das fliegende Klassenzimmer“ sind in Arbeit. Thomas Winkler

„Pünktchen und Anton“, Buch und Regie: Caroline Link, mit Elea Geissler, Max Felder, Juliane Köhler, D 1999, 107 Min.

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