: Bei Tempolimits hört der Spaß auf
Die geplante Verschärfung der Sommersmogverordnung sorgt für Ärger zwischen Kanzler und Umweltminister. Schröders Vorwurf: Trittin habe im Alleingang gehandelt. Das ist nachweislich falsch ■ Von Matthias Urbach
Berlin (taz) – Jürgen Trittin (Grüne) kann es niemandem recht machen. Auch nicht mit seinem Entwurf für eine Sommersmog- Verordnung. Da stellt der Umweltminister bloß ein erstes Strategiepapier vor, läßt es am Mittwoch morgen auf Referentenebene mit Verkehrs-, Wirtschafts- und Gesundheitsministerium diskutieren und lädt auch gleich die Wirtschaftsverbände der Gesamtindustrie (BDI), der Chemie (VCD) und Autoindustrie (VDA), Umweltverbände und den ADAC ein – und kriegt trotzdem vom Kanzler eins auf den Deckel: Die geforderte Verschärfung soll gefälligst vorher mit den anderen Ressorts abgestimmt werden, forderte Gerhard Schröder (SPD) am Mittwoch mittag polternd im Kabinett, wie die Bild gestern kolportierte. Und Bundesverkehrsminister Franz Müntefering (SPD) erklärte in den „Tagesthemen“, daß auch hohe Ozonkonzentrationen keine Tempolimits rechtfertigen. Die seien mit ihm nicht zu machen. Wenn es um Tempolimits geht, hört der Spaß auf.
Dabei hatte Umweltstaatssekretär Rainer Baake das Strategiepapier vor zwei Wochen seinem Kollegen im Kanzleramt, Frank Steinmeier, übergeben und das Verfahren erkläutert. Aus dem Kanzleramt kam kein Protest. Auch die drei eingeladenen Minister hätten protestieren können. Schließlich bleiben die Vorschläge aus dem Umweltministerium sogar noch hinter dem zurück, was die SPD-Fraktion im Sommer 1997 im Bundestag beantragt hatte.
Dabei zeigt die Erfahrung, daß die alte Sommersmog-Regelung der damaligen Umweltministerin Angela Merkel (CDU) nicht richtig griff. Nur einmal im vergangenen Sommer kam es zum Smogalarm. Trotzdem war die öffentliche Diskussion äußerst hitzig. Deshalb, so heißt es aus dem Umweltministerium, habe man lieber schon vor dem Ausarbeiten des Gesetzentwurfes Befürworter und Gegner einer Verschärfung zu Wort kommen lassen wollen, um noch für diesen Sommer eine wirksame Verbesserung hinzukriegen. Das alte Ozongesetz wird ohnehin Ende dieses Jahres auslaufen. Es sieht Fahrverbote vor, wenn großflächig über längere Zeit eine Ozonbelastung von 240 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft erreicht ist.
Trittin will auf dem Verordnungsweg eine weitere Alarmstufe davorschalten: Ab 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft soll ein Tempolimit verhängt werden: 100 Stundenkilometer für Pkw und 60 für Lkw auf Autobahnen, sonst 80 für Pkw und 50 für Lkw. Auch die Häufigkeit und Dauer der Grenzwertüberschreitung soll so gefaßt werden, daß schneller Ozonalarm ausgelöst wird. Damit soll verhindert werden, daß sich überhaupt erst eine Belastung von 240 Mikrogramm aufbauen kann, die allgemein als gesundheitlich schädliche Schwelle gilt.
Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes (UBA) könnte diese Maßnahme die Ozonspitzen um bis zu 10 Prozent verringern. Ab 120 Mikrogramm schlägt die Weltgesundheitsorganisation WHO vor, besonders empfindliche Gruppen, wie Kleinkinder und Allergiker, zu warnen.
Der Ozonalarm im vergangenen August war bislang nach den alten Grenzwerten der einzige in Deutschland. Nach Trittins Kriterien hätte es nach Schätzungen des UBA zwei- bis dreimal Ozonalarm gegeben. Die SPD-Fraktion hatte 1997 sogar einen Grenzwert von 160 Mikrogramm verlangt. So forderte Dirk Fischer, verkehrspolitischer Sprecher der CDU, „den Unsinn des Autofeindes Trittin zu stoppen“, und malte Riesenstaus in der Urlaubszeit an die Wand. Der Verband der Automobilindustrie sprach von einem „Akt der Willkür“. Der Verkehrsclub Deutschland forderte dagegen einen Grenzwert gemäß der WHO- Empfehlung. Langfristig wird das Umweltministerium das ganze Ozongesetz erneuern, will aber dafür die EU-Richtlinie abwarten.
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