In Jugoslawien schweigen jetzt die Waffen

■  Nato gibt vorläufige Einstellung der Luftangriffe bekannt und warnt vor Verzögerungen beim Rückzug der 40.000 serbischen Soldaten. Scharping spricht vom „bislang gefährlichsten Einsatz“ der Bundeswehr, die mindestens drei Jahre im Kosovo bleiben werde

Brüssel/Bonn (AFP/dpa/taz) – Die Eilmeldung kam gestern um 15.24 Uhr: „Nach dem Beginn des jugoslawischen Rückzugs aus dem Kosovo hat die Nato ihre Luftangriffe auf Jugoslawien vorerst eingestellt. Das teilten Nato-Diplomaten in Brüssel mit“, tikkerte die Agentur AFP als erste. Nach elf Wochen Luftkrieg und dem offensichtlichen Beginn des Rückzugs der jugoslawischen Truppen aus dem Kosovo konnte Nato-Generalsekretär Javier Solana offiziell das Ende der Bombardierungen bekanntgeben.

In der Nacht zuvor flogen Nato-Piloten noch einmal 443 Einsätze, davon 60 Bombenangriffe. Ziele seien wieder Panzer und Artilleriestellungen im Kosovo gewesen, sagte ein Nato-Sprecher.

Im Kosovo-Krieg seien 462 jugoslawische Soldaten und 114 serbische Polizisten getötet worden, gab der jugoslawische Präsident Miloevic gestern in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung Jugoslawiens bekannt. Er bezeichnete eine Autonomie als einzig mögliche politische Lösung für Kosovo und rief das jugoslawische Volk zugleich zur Geschlossenheit beim Wiederaufbau auf.

In New York warteten die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats auf das Ergebnis der Moskauer Verhandlungen zwischen Strobe Talbott, dem US-Vizeaußenminister, und dem russischen Balkan-Beauftragten Wiktor Tschernomyrdin. Sie debattierten über die Rolle Rußlands in der KFOR-Streitmacht. Moskau will seine Einheiten nicht einem Nato-Kommando unterstellen.

Nato-Diplomaten in Brüssel sorgten sich gestern, daß das Votum in New York sich hinauszögern könnte. „Es darf kein Vakuum zwischen dem Rückzug und der Stationierung der ersten KFOR-Soldaten geben“, warnte gestern ein ranghoher Nato-Militärvertreter. Ansonsten seien Übergriffe auf Zivilisten nicht auszuschließen.

Der serbische Abzug hatte nach Nato-Angaben genau um 12.00 Uhr mittags begonnnen. Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark soll den Abzugstermin mit den Worten „High Noon ist ein guter Zeitpunkt“ kommentiert haben.

Am ersten Tag muß die jugoslawische Armee nachweisbar ihren Rückzug aus der nördlichen Zone begonnen haben. In den folgenden fünf Tagen müssen die Truppen vollständig aus der südlichen Zone abziehen, nach weiteren drei Tagen aus dem Zentralkosovo. Für die abschließende Verlegung aus der nördlichen Zone bleiben den Sicherheitskräften dann noch zwei Tage. Aus Nato-Kreisen verlautete, Jugoslawien müsse in der ersten Phase etwa 6.000 Soldaten und 90 Panzer aus dem Kosovo abziehen. Die Vorhut der internationalen Kosovo-Friedenstruppe KFOR könne innerhalb von 48 Stunden nach der folgenden Verabschiedung der UNO-Resolution in die Provinz einrücken.

Die Nato behält sich als Druckmittel gegen Miloevic die Wiederaufnahme des Luftkriegs vor: „Ich habe klar gemacht, daß die Vereinbarung die Wiederaufnahme der Luftoperationen notwendig macht, falls der Zeitplan für den Abzug in der Folge nicht eingehalten wird“, erklärte der britische Generalleutnant Michael Jackson, der auch designierter KFOR-Kommandeur ist.

Eine Vorhut von 18.000 Soldaten steht für den Einsatz im Kosovo an der makedonischen Grenze bereit. 50.000 Mann sollen es insgesamt werden.

Die Provinz wurde in fünf Schutzzonen geteilt, die von unterschiedlichen Kontingenten kontrolliert werden: der Süden von deutschen Soldaten, der Osten von US-Einheiten, der Westen von italienischen, der Norden von französischen Truppen sowie die größte Zone im Zentrum von britischen Verbänden.

Die ersten deutschen Soldaten können nach Angaben von Verteidigungsminister Rudolf Scharping bereits am Sonntag oder Montag in das Kosovo einrücken. Die Bundeswehrsoldaten seien im Prinzip sofort einsatzbereit, sagte Scharping gestern nach einer Fraktionssitzung in Bonn. Nach Angaben der Bundeswehr sollen in einer ersten Phase zunächst rund 2.600 der bislang 4.500 in Makedonien stationierten Soldaten in das Kosovo verlegt werden. Insgesamt soll das deutsche Kontingent bis zu 8.500 Mann umfassen, das dafür notwendige Bundestagsmandat soll heute erteilt werden.

Ursprünglich sollte die entscheidende Sitzung der Abgeordneten schon gestern stattfinden, sie wurde aber wegen des noch fehlenden UN-Mandats um einen Tag verschoben. Scharping zufolge steht der Bundeswehr wegen der vielen Minen und Sprengfallen ihr „bislang gefährlichster Einsatz“ bevor. Zugleich machte Scharping klar, daß der Bundeswehreinsatz auf längere Zeit geplant ist: „Drei Jahre sind deutlich zu kurz gedacht.“ Auch Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch sprach von einem „sehr gefährlichen Einsatz für die Soldaten“. Er kündigte zugleich an, daß die Grünen nach Vorliegen des UN-Mandates einem erweiterten Bundeswehr-Einsatz zustimmen werden.