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Segler finden die Havel zum Kotzen

■  Sonntags Boot gefahren, montags erbrochen: Umweltbundesamt bringt Magen-Darm-Infekte in Zusammenhang mit Abwasser aus Ruhleben. Senat verspricht Besserung

Die Regatta auf der Havel am 25. Oktober 1998 machte Spaß: Die Winde waren stark und die Wellen hoch. Auch daß einige der jugendlichen SeglerInnen kenterten und eine Menge Wasser schluckten, wäre nicht so schlimm gewesen. Doch am darauffolgenden Montag trieb es 13 von insgesamt 70 TeilnehmerInnen der Wettfahrt auf die Toilette oder ins Bett. Sie litten an einem Magen-Darm-Infekt, die meisten klagten über Erbrechen, einige fieberten.

Zwei UmwelthygienikerInnen des Umweltbundesamtes (UBA) untersuchten den Vorfall und bringen ihn nun in Zusammenhang mit Abwasser der Kläranlage Ruhleben, das nördlich der Regattastrekke in die Spree geleitet wurde und schließlich in die Havel gelangte. Der grüne Umweltexperte Hartwig Berger sieht im Abwasser die „einzige plausible Erklärung“ für Durchfall und Erbrechen. Auch Peter Schirmer, Abteilungsleiter der Umweltverwaltung erkennt einen „Verdacht“, der aber „keinen eindeutigen Beweis darstellt“.

Die UBA-MitarbeiterInnen legen Wert darauf, „keinen Kausalzusammenhang“ herzustellen, verweisen jedoch auf die „enge zeitliche Häufung der Krankheitssymptome nach dem Wasserkontakt“. Das UBA hat errechnet, daß in den Tagen der Regatta das Abwasser rund zehn Prozent des gesamten Wassers an dieser Stelle der Havel ausmachte. Hinzu kamen starke Regenfälle, die die Kanalisation zum Überlaufen brachten, so daß zusätzliche Reste menschlicher Fäkalien in den Fluß gespült wurden.

Die Ursache der außerordentlichen Verunreinigung mit Bakterien rührt vermutlich daher, daß die Wasserbetriebe das Abwasser aus Ruhleben von Oktober bis März nördlich der Regattastrecke in die Spree einleiten. Während des Sommers fließt die Brühe in Rohren in den Teltowkanal, um den Wannsee zu schonen. Wasserbetriebe-Sprecher Eike Krüger hält es für „gut möglich, daß die Keimbelastung im Winter höher ist als im Sommer“.

Einen Grenzwert für die Einleitung von Keimen mit dem Abwasser gibt es nicht. Eine europäische Richtlinie legt zwar die Qualität von Badegewässern fest – doch sie gilt nur im Sommer. Demzufolge weiß auch die Umweltverwaltung, daß der Zustand der Havel ab Oktober zum Wasserschlucken nicht geeignet ist.

Noch in diesem Sommer, so erklärt Wasserexperte Schirmer, werde Berlin einen Plan bekommen, der die Wasserbetriebe nach und nach verpflichte, die europäische Richtlinie ganzjährig einzuhalten. Der vom Grünen Berger geforderte Bau der vierten Reinigungsstufe in den Kläranlagen allerdings sei so schnell nicht zu machen, so Schirmer. Das nämlich würde den Preis für Abwasser von knapp fünf Mark um eine weitere Mark erhöhen. Hannes Koch

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