: „Scheiße, ich will zur Bundeswehr“
Wehrdienstgegner machen gegen öffentliches Gelöbnis am 20. Juli mobil. Grüne bleiben den Protesten diesmal fern ■ Von Andreas Spannbauer
„Haben Sie irgendein Ziel?“ Die Mitarbeiter des Kreiswehrersatzamtes sind in Alarmstimmung. „Die Bundeswehr abschaffen“, antwortet einer der ungeladenen Gäste grinsend, die am Donnerstag morgen das Musterungsbüro in Berlin-Treptow besetzen. Neben Schaubildern des „leichten Kampfbombers Alpha-Jet“ bringt einer der Aktivisten Plakate mit der Aufschrift „Gelöbnix – wir stören gerne“ an, auf dem Teppich werden mit Kreide die Umrisse einer Leiche nachgezeichnet.
Bei den Hausherren trifft die Botschaft auf wenig Verständnis: „Seid ihr nicht ganz da, oder was“, ruft eine Mitarbeiterin entnervt. Auch bei den Musterungspflichtigen ist die Meinung geteilt. „Scheiße, ich will zur Bundeswehr“, beschwert sich ein junger haargelgestylter Mann. Andere packen die Gelegenheit beim Schopf und treten ungemustert den Heimweg an. Nach geraumer Zeit erhält die Armee Unterstützung von der Polizei. Die Besetzer werden kurzzeitig festgenommen.
Am 20. Juli, dem Jahrestag des Stauffenberg-Attentates auf Hitler, sollen 430 Rekruten der Bundeswehr vor dem Bendlerblock in Berlin-Tiergarten geloben, „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Die Besetzung heute ist die erste Kriegserklärung der Gegner an die „Selbstbeweihräucherung künftiger Mörder“, wie die Prozedur in einem Aufruf genannt wird.
Hatte der damalige CDU-Verteidigungsminister Volker Rühe noch den Jahrestag des Wehrmachtsmassakers im tschechischen Lidice als Termin ausgewählt, sucht sein Nachfolger nach unverfänglicheren Traditionen. Im Hof des zukünftigen Amtssitzes von Rudolf Scharping endeten die gescheiterten Attentäter des 20. Juli 1944 am Fleischerhaken. Am 3. Februar 1933 hatte hier die Generalität der Reichswehr Adolf Hitler empfangen, der die „Ausrottung des Marxismus“ und die Eroberung von „Lebensraum im Osten“ ankündigte. Jetzt befindet sich in dem ehemaligen Reichsmarineamt die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Pflichtprogramm jeder Klassenreise.
Für die Grüne Angelika Beer ist der Ort „Ausdruck eines neuen Traditionsverständnisses“. Beer, die als Verteidigungspolitische Sprecherin für „mitdenkenden Gehorsam“ plädiert, hat das Gelöbnis – ein Novum – ausdrücklich begrüßt. Das Zeremoniell hebe sich von der „Traditionstümelei“ der Kohl-Administration ab.
Auch die Berliner Grünen haben ihr Verhältnis zu öffentlichen Gelöbnissen überdacht. Bisher war man an der Mobilmachung gegen das „überkommene Ritual“, so nennt es der grüne Landessprecher Andreas Schulze noch immer, an vorderster Front beteiligt. Nun will man den zwar „unzureichenden Schritt der Bundeswehr in Richtung Demokratie und Freiheit“ dennoch honorieren. Der Bendlerblock als Hinrichtungsstätte sei zudem „nicht der Ort, an dem man Demonstrationen durchführt“, sagt Schulze.
„Im Unterschied zu den Jahren zuvor ist der Protest gegen die Militarisierung des öffentlichen Raumes nicht mehrheitsfähig“, stellt auch Ursula Hertel-Lenz von der grünen „Landesarbeitsgemeinschaft Frieden“ und eine der letzten parteiinternen GegnerInnen des Spektakels, etwas resigiert fest. Ihr Protest gegen das öffentliche Gelöbnis – ein Rückzugsgefecht: Nur drei ihrer Fraktionskollegen stehen hinter ihr.
Die Gegner der Zeremonie wollen von den Grünen ohnehin wenig wissen: Auch Jürgen Trittin, dessen Rede im Vorjahr noch Rücktrittsforderungen aus der Partei gefolgt waren, ist zur Persona non grata geworden. „Es hat keinen Sinn, umgefallene Grüne einzuladen“, kritisiert Ralf Siemens, Sprecher der Kampagne gegen Wehrpflicht, die Haltung der Partei zum ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr. „Eine solche Kehrtwende hätte man nicht für möglich gehalten.“ Für Streit unter den Gegnern sorgt indes die Bewertung des 20. Juli. Weil ein Flugblatt des Bündnisses „Gelöbnix“ die Attentäter als Parteigänger des Nationalsozialismus brandmarkt, hat die PDS jetzt einen eigenen Aufruf veröffentlicht. „Wir schätzen die Aktion des 20. Juli durchaus als Teil des Widerstandes gegen Hitler“, meint Udo Wolf vom Landesvorstand. Gerade dieser Bezug der Truppe auf den Versuch, die „Ehre der Nation zu retten“, schürt bei den „Gelöbnix“-Machern den Unmut.
„Das Negativimage soll korrigiert werden“, meint Siemens. „Das ist natürlich bei näherer Betrachtung Blödsinn.“ Für Carsten Dannel von den Jungdemokraten bedeutet diese Traditionslinie „in letzter Konsequenz, solange verbrecherische Angriffskriege zu führen, bis Europa in Schutt und Asche liegt“.
Der Attentäter Graf Claus Schenk von Stauffenberg hatte noch 1941, als Hitler bereits den „Vernichtungskrieg“ gegen die Sowjetunion ausgerufen hatte, ein Attentat auf den „Führer“ abgelehnt – obwohl er durch seinen Onkel über die Verbrechen der Wehrmacht in Polen informiert war: „Während des Krieges darf man so etwas nicht machen. Vor allem nicht während des Krieges gegen den Bolschewismus.“ Der Oberbefehlshaber der 4. Panzerarmee, Erich Hoepner, lobte die „Operation Barbarossa“ als „alten Kampf der Germanen gegen das Sklaventum“ und „die Verteidigung europäischer Kultur gegen moskowitisch-asiatische Überschwemmung“.
Bei den Gegnern des Gelöbnisses rechnet man mit mehreren tausend Demonstranten. Insbesondere der Kosovo-Krieg habe die Öffentlichkeit für die neue Rolle der Bundeswehr sensibilisiert: „Das Gelöbnis soll die Akzeptanz für zukünftige Einsätze stärken“, meint Ralf Siemens, der dem Ritual „zum dritten Mal das Scheitern“ prophezeit.
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