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Chronik einer Enttäuschung

■  Espinosa zeichnet ein Porträt der kubanischen Revolutionsgeneration

Sie hatten das Land vom Tyrannen befreit und träumten vom neuen Menschen in einem neuen Land: Die kubanischen Rebellen, die nach der Flucht des Diktators Batista im Januar 1959 in Havanna einmarschierten, hatten wenig politische Erfahrung, aber um so hochfliegendere politische Pläne. Die Revolution hatte gesiegt, die Abhängigkeit von den USA, der Großmacht im Norden, sollte ein Ende haben, Kuba endlich wieder den Kubanern gehören.

Doch die Ernüchterung kam schnell: Funktionäre, nicht die alten Kämpfer bestimmten das politische Geschehen auf der Insel, die Bürokratie trieb wilde Blüten, und während die einstigen Rebellen Entsagung predigten, bereicherten sich andere am sogenannten Volkseigentum.

In seinem Roman „Unsere Zeit zu leben“ zeichnet Jorge C. Oliva Espinosa das Porträt jener Generation, die mit ihrer Begeisterung dazu beitrug, den Diktator zu stürzen, und sich am Ziel ihrer Träume wähnte, als sie die Nachricht von der Flucht Batistas vernahm. Die jungen Rebellen, die sich in den Städten am Guerillakampf beteiligt hatten, waren Anfang zwanzig, als sie sich anschickten, die Karibikinsel in ein Paradies auf Erden zu verwandeln. Doch die USA, die die Politik auf der Insel sechzig Jahre lang bestimmt hatten, ließen nichts unversucht, die neue Regierung unter Druck zu setzen, und drängten das isolierte Kuba förmlich in die Arme der Sowjetunion. 1961 verkündete Fidel Castro, die Revolution auf der Zuckerinsel sei eine „sozialistische Revolution“.

Hinter dem Pseudonym Jorge Oliva Espinosa verbirgt sich Douglas Rudd, ein kubanischer Pilot, der wie sein Romanheld Joaquin Ortega als junger Mann gegen Batista kämpfte und jahrelang fest an die Ziele der Revolution glaubte. In den Sechzigern schickte Fidel Castro ihn als militärischen Berater nach Vietnam. Bald nach seiner Rückkehr wurde der hochdekorierte Pilot jedoch wegen oppositioneller Äußerungen verhaftet. Nach seiner Entlassung wurde er nie vollständig rehabilitiert und emigrierte schließlich 1991 in die USA. Auf eigenen Wunsch hin gab sein Sohn das Manuskript seines Buches erst nach Rudds Tod an lateinamerikanische Verlage. Inzwischen hat auch der Sohn die Insel verlassen.

Die Stärke von Rudds Buch ist die Naivität seines Romanhelden Joaquin Ortega, der den „revolutionären Prozeß“ mit ungebrochenem Idealismus betrachtet. Ortega ist nicht nur ein Romantiker und überzeugter Rebell, er bleibt auch zeit seines Lebens ein Hitzkopf, der stets sagt, was er denkt – auch wenn es nicht opportun ist. Seine Freunde nennen ihn deshalb den „Wahnsinnigen“. Durch die Figur Ortegas wird deutlich, warum so viele Kubaner noch immer stolz sind auf „ihre Revolution“, mit der sich die Insel zugleich aus der Bevormundung durch die USA befreite. Doch Rudd benennt auch den Preis, den die Kubaner dafür zahlten: ein System der totalen Kontrolle und eine neue Abhängigkeit vom Ostblock, durch die die Insel nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine vollkommene wirtschaftliche Katastrophe erfährt. Und er macht nachvollziehbar, wie die Ideale der Revolution im Laufe der Jahre ausgehöhlt und verraten wurden.

Vierzig Jahre kubanische Geschichte werden aus der Sicht Joaquin Ortegas und seiner Freunde geschildert, die der Widerstand gegen Batista geeint hat. Einige von ihnen ließen im Kampf gegen den Diktator ihr Leben, andere, die in die Hände von Batistas Folterknechten gerieten, wurden entsetzlich verstümmelt. Nach dem Sieg der Revolution stiegen die einen im Militär oder in der politischen Bürokratie auf, andere verließen die Insel, als sie feststellten, daß mehr und mehr Kommunisten den Kurs der Revolution bestimmten. Wieder andere wurden als verdiente Revolutionäre ins Ausland geschickt und zogen es vor, dort zu bleiben.

Joaquin selbst muß erleben, wie diejenigen, die ihre Verdienste im Kampf gegen Batista lauter anpreisen als er selbst, an ihm vorbeiziehen. Dem Bauingenieur, der als Dozent an der Universität lehrt, wird bei Beförderungen bedeutet, er sei „jetzt nicht an der Reihe“. Und der einstige Untergrundkämpfer gegen Batista muß sich entwürdigenden Befragungen unterziehen, um eine Medaille für seine Verdienste zu erhalten oder als Parteimitglied zugelassen zu werden. Am Ende ist es ausgerechnet Joaquins alter marxistischer Jugendfreund, der versucht, ihm die Augen über die Ungerechtigkeit des kubanischen Systems zu öffnen: „Wer das Sagen hat, verdient an allem, gestern war es der Kapitalist, heute ist es der Staat. Er verdient am Mehrwert deiner Arbeit, dessen er sich bemächtigt, und am Preis von dem, was er dir verkauft und was du nirgendwo anders kaufen kannst. Wir werden immer noch genau so ausgebeutet ... Und jetzt ist es so, daß es im sozialistischen Kuba, wo man 'Socialismo o Muerte‘ schreit, plötzlich statthaft ist, ein Kapitalist zu sein. Nicht nur statthaft, sondern sogar erwünscht.“

An solchen Stellen offenbart sich zugleich die größte Schwäche des Romans: Der Pilot Rudd war eben kein Literat, und sein Buch ist in weiten Teilen ein langer Diskurs. Es spiegelt die Debatten innerhalb der kubanischen Gesellschaft und benennt jene Punkte in der Geschichte, an denen sich der revolutionäre Prozeß nach Meinung des Autors in die falsche Richtung entwickelt hat. Rudd erzählt so, wie sein Held sich erinnert: assoziativ. Er springt in den Zeiten vor und zurück, wechselt die Perspektiven, mischt Politisches und Privates und verknüpft historische Daten, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Doch ihm fehlt die Souveränität des geübten Erzählers, um diese Technik zu beherrschen.

Dennoch hebt sich Rudds Buch dank seiner differenzierten Schilderung wohltuend von jener anderen Exilliteratur ab, die (vielleicht auch aus Marketinggründen) Fidel Castro und seine Revolution in Grund und Boden verdammt. „Unsere Zeit zu leben“ liefert keine platte Propaganda, sondern eine Innenansicht, mit allen Widersprüchen und Zweifeln. Wer also bereit ist, Douglas Rudds Roman als Zeugnis zu lesen, als Chronik einer Enttäuschung, dem bietet „Unsere Zeit zu leben“ eine umfassende Innenansicht der kubanischen Revolution und zugleich einen melancholischen Abgesang auf die politischen Ideale der Jugend. Diemut Roether‚/B‘

Jorge C. Oliva Espinosa: „Unsere Zeit zu leben“. Aus dem kubanischen Spanisch von Sabine Giersberg. Aufbau Verlag 1999, 480 Seiten, 49,90 DM

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