: Der vom Mythos lebt
Daniel Cohn-Bendit will einen französischen Paß beantragen und in Frankreich wieder Politik machen ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Daniel Cohn-Bendit, lautstarker Verteidiger der „europäischen Citoyenneté“, will jetzt doch erst mal Franzose werden. Persönlich würden sich ihm damit weitere Türen für eine Karriere jenseits des Rheins öffnen. Die Europawahlen im Juni, bei denen er als Spitzenkandidat der „Verts“ (Grüne) stolze 9,5 Prozent bekam, haben ihn auf den Geschmack gebracht. Als Inhaber eines französischen Passes könnte Cohn-Bendit künftig auch bei nationalen und bei kommunalen Wahlen in Frankreich antreten.
Zum Beispiel in Paris. In manchen Quartieren der französischen Hauptstadt stellten die Verts am 13. Juni alle anderen Parteien in den Schatten und bekamen bis zu 20 Prozent. Stellenweise waren sie damit nicht nur stärker als die Paris seit den 70er Jahren regierenden NeogaullistInnen, sondern auch, als ihre sozialistischen KoalitionspartnerInnen. Cohn-Bendit, der die nach eigenem Bekunden „europäischste Kampagne“ für seine Wahl gemacht hatte, reagierte umgehend – und national. Schon am Wahlabend sprach er statt von Europa nur von Frankreich und französischer Innenpolitik. Siegesstolz forderte er ein Rendezvous mit dem französischen Premierminister. Verlangte zusätzliche Ministerien für die Verts in der Regierung. Griff den französischen Innenminister scharf an. Und teilte außerdem mit, er werde bei den Präsidentschaftswahlen 2002 die Kandidatur des Sozialisten Jospin unterstützen.
Seinen französischen ParteifreundInnen, die ihn zwar wegen seiner großen Schnauze und seiner Beliebtheit bei Medien und Prominenz ins Europarennen geschickt hatten, war das zuviel der Einmischung. Sie riefen ihn öffentlich zur Raison. Nicht nur, weil die Verts bei Präsidentschaftswahlen eigene KandidatInnen aufstellen. Nicht nur, weil ihnen an der konstruktiven Zusammenarbeit mit ihren KoalitionspartnerInnen in der Regierung gelegen ist. Sondern auch, weil sie Cohn-Bendit ausdrücklich für Europa, und bloß das, engagiert hatten. Das könnte sich nun ändern. In Paris, wo sich die örtlichen Verts bis dato demonstrativ gegen „eingeflogene“ Kandidaten zur Wehr gesetzt hatten, diskutiert bereits ein Freundeskreis über einen „prominenten grünen Spitzenkandidaten“ für die Kommunalwahlen im Jahr 2001.
Cohn-Bendit, der 1945 in Frankreich zur Welt kam, aber bislang nur die deutsche Staatsangehörigkeit hat, wechselte zeitlebens zwischen den beiden Ländern hin und her. Vom Mythos seines Auftritts in Frankreich als einer der Wortführer der 68er, was ihm sowohl große Popularität als auch die Ausweisung nach Deutschland brachte, lebte er bis heute. Wenn er im Herbst einen französischen Paß beantragt, möchte er seinen deutschen behalten. Damit nimmt er gleich zwei Sonderregelungen für sich in Anspruch. Erstens die Doppelstaatsangehörigkeit und zweitens die französische Naturalisierung nach weniger als fünf Jahren Aufenthalt in Frankreich.
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