: Nie wieder Zickenschulze
Stars, Events und Catering: Das Hansa-Theater übt sich im modernen Chancenmanagement. Endlich ist die Berliner Republik auch in Moabit angekommen ■ Von Kolja Mensing
Der verstaubteste Friseurladen Berlins steht in Moabit. Hier hat man noch eine „Papilottenwelle“ im Angebot, und am Seniorentag kostet eine „Wasserwelle, komplett“ nur 25 Mark 50. Im Fenster stehen Plastikblumen, von der Decke baumeln Regenschirme, die jemand aus Pappe ausgeschnitten hat, und die Mädchenperücke darunter ist vermutlich 1978 zum letzten Mal frisiert worden.
Die gleiche Straße, zwei Häuser weiter: „Irgendwann ist hier die Zeit stehen geblieben“, sagt Claudio Maniscalco. Er sitzt im Foyer des Hansa-Theaters auf einem Ledersofa und schaut auf die braunen Teppiche, die Vorhänge mit den ausgefransten Troddeln und die Spiegelrahmen, an denen die Goldfarbe abblättert: „Irgendwas stimmt hier nicht.“ Dann lächelt Claudio Maniscalco: Zusammen mit seinem Bruder Pietro hat er vor einigen Tagen das Hansa-Theater in Moabit gekauft, das verstaubteste Privattheater Berlins, und jetzt soll natürlich alles anders werden. Neue Teppiche zum Beispiel müssen her, findet Maniscalco. Außerdem sollen die grauen Blech-Baldachine vor dem Eingang verschwinden: „Man muss neuen Besuchern die Schwellenangst nehmen.“ Claudio Maniscalco lächelt wieder: „Ich bin ein optimistischer Mensch.“
Das Hansa-Theater: Am Mittwoch vergangener Woche fiel der Theaterstadt Berlin plötzlich ein, dass es diese Bühne ja auch noch gibt. Direktor Klaus J. Rumpf und seine Frau Sabine Thiesler würden das Hansa-Theater verlassen, meldete dpa. Der Name des Nachfolgers werde am Montag auf einer Pressekonferenz bekannt gegeben. Peymann und Willms, das BE und das Deutsche Theater waren für einen Moment vergessen: Die Theaterstadt Berlin schaute fasziniert nach Moabit, als würden dort die kommenden Kulturschlachten entschieden. Der Name des neuen Leiters wurde dann auch schon am Freitag ausgeplaudert: Claudio Maniscalco, geboren 1962, Fernseh- und Theaterschauspieler, Regisseur und Produzent, ehemaliger Leiter des Berliner Kama-Theaters, einst im Gespräch für die Leitung des Schlosspark-Theaters.
Am Montag dann die Pressekonferenz. Noch ist im Hansa-Theater von einem Neubeginn nichts zu spüren: die Teppiche braun, die Vorhange fransig. Und Klaus J. Rumpf hält eine lange Rede. Er erinnert an die beiden großen Erfolge des Hansa-Theaters, an die Komödien „Hochzeit bei Zickenschulze“ und „Zille mittenmang“. Er erzählt von den Kulturpolitikern, die dem Hansa-Theater die Gelder kürzen und streichen wollten, ohne sich je ein Stück angeschaut zu haben, und die die großen Häuser immer lieber hatten als das kleine Volkstheater: „In dieser Stadt werden Stücke unterstützt, die keiner sehen will.“ Rumpf ist traurig, auch über sich selbst: „Ich habe ein wichtiges Ziel nicht erreicht“, sagt er und klingt wie ein Politiker nach einer verlorenen Wahl, „die gesellschaftspolitische Aktzeptanz des Volkstheaters schlechthin.“ Jetzt versagt ihm die Stimme. Die Journalisten sind gerührt. Doch es geht natürlich nicht um Rumpf, sagt Rumpf. Es geht um Berlin und die Berliner: „Die Berliner sind nicht mehr stolz auf ihre Stadt und auf ihren Humor.“
Klaus J. Rumpf ist kein Theaterleiter mehr, aber er ist immer noch ein Schauspieler: In seiner Abschiedsvorstellung gibt er den Berliner Typus des melancholischen Verlierers. Das ist der robuste Modernisierungsverlierer, den man aus den Komödien des Hansa-Theaters so gut kennt: Der nette Kerl von nebenan, der mit mit den ganz großen Plänen antritt und der dann – „kennst ma ja“ – charmant auf die Schnauze fliegt. Der sich abrackert und von „denen da oben“ – in diesem Fall also von den Berliner Kulturpolitikern – dafür auch noch in den Hintern getreten wird. Der „icke“ sagt und eigentlich „uns“ meint, die Solidargemeinschaft der „Urberliner“.
Diese Abschiedsvorstellung ist ein konservatives Revolutionsstück: Klaus J. Rumpf kämpft mit einer flammenden Rede noch einmal für das gute, alte Berlin. Für eine Mundart, die im Theater immer so merkwürdig künstlich klingt. Für Papilottenwellen, die beim Friseur nebenan am Seniorentag nur die Hälfte kosten. Für den gesammelten Staub der Nachkriegszeit. Auf dass das Neue Berlin tüchtig zittere!
Rumpf übergibt seinem Nachfolger einen riesigen Schlüssel. Die beiden lächeln in die Kamera, und dann erklärt Claudio Maniscalco, was er so vorhat. Er sagt: Sponsoring. Er sagt: Catering. Er sagt nicht: Event. Aber er meint Event: „Ich könnte mir vorstellen, dass zu einem Stück, was in den 20er-Jahren spielt, auch das Personal des Theater die entsprechenden Kostüme trägt.“ Er sagt: Junge Autoren. Er sagt: Stars. Er sagt nicht: Nie wieder „Zickenschulze“. Aber er verliert auch kein Wort über die Premiere, die am heutigen Freitag im Hansa-Theater zu sehen ist und die sein Vorgänger noch initiert hat. Eine Berliner Posse: „Tante Marthas letzter Wille“. Für den November kündigt er eine Revue über das Leben des Schauspielers Heinz Rühmann an, und Brigitte Mira ist auch schon verpflichtet worden. Namedropping statt „Zickenschulze“: Claudio Maniscalco beherrscht den Sound der späten 90er-Jahre: Jammern ist out. Forward to all directions.
Das Hansa-Theater heißt übrigens jetzt „Berlins Volkstheater Hansa“ und wirbt mit einem lustigen Kartoffelmännchen: „Die Kartoffel symbolisiert Berlin“, steht nachher in einem Presseinfo: „Sie ist beliebt und ständig präsent ... Durch die originelle, wenn auch unübliche Symbolik ist völlig klar: Berlins Volkstheater geht ungewöhnliche Wege, die den Zeitgeist widerspiegeln.“ Das klingt noch etwas holprig, aber sicherlich findet sich bald eine Medienagentur, die solche PR-Texte glatt bügelt: Das Hansa-Theater ist dabei, in der Berliner Gegenwart anzukommen.
Irgendwie schade. Für einen Moment waren einem Klaus J. Rumpfs anachronistische Abschiedsrede und sein Eintreten für die gute, alte Piefigkeit geradezu sympathisch vorgekommen. Allerdings hatte er dann auch noch stolz verkündet, dass er und seine Frau jetzt „voll und ganz zum Fernsehen“ gehen würden um dort „ihre Kreativität voll und ganz entwickeln zu können“. In der Sprache der Berliner Republik heißt so etwas „modernes Chancenmanagement“. Erst jetzt ist Gerhard Schröder wirklich in Berlin angekommen. In Moabit.
„Tante Marthas letzter Wille“. Regie: Klaus Sonnenschein. Ab heute, Di – So, jeweils 20 Uhr
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