piwik no script img

■ Vom Schwierigen Riss zum Bügeleisen

„Der Aufstieg in die Eiger-Nordwand“, Donnerstag, 8. 30 Uhr, N 3

Das Lotterleben des freien Autoren ist ein unverwüstlicher Mythos: Er weiß nicht, wo, wie, mit wem er die letzte Nacht verbracht hat, wacht sicher mit einem Riesenschädel auf und sieht für die ersten Stunden seiner Gewöhnung an das Tagesleben nur in Schwarzweiß. Alles Quatsch. Punkt 8 schält er sich aus dem Bett, brüht einen Tee auf, schaltet 8.30 Uhr den Fernseher ein und besieht sich die Eigernordwand.

Das ist ein Berg in den Alpen, 1.800 Meter hoch, aus grauschwarzem Kalk und „das Maß der Dinge“ – ein „wirklicher Mythos“. SWR und Schweizer Fernsehen leisten sich „das längste Abenteuer der deutschen Fernsehgeschichte“, eine 22-stündige Live-Übertragung der Besteigung dieser Wand. 20 Kameras sind mit von der Partie, auf, an, über und um die vier Kletterer. Ein wenig sehen sie aus wie KFOR-Truppen, nur etwas bunter, und heißen bestimmt alle Doonie. Sie kämpfen sich durch gebirgige Ödnis, tun Dinge, bei denen „jeder Handgriff sitzen muss“. Heute schaffen sie, wenn das Wetter nicht umschlägt, wohlgemerkt, den Schwierigen Riss, den Hinterstoisser Quergang, das Schwalbennest, das Erste und Zweite Eisfeld bis zum Bügeleisen, „wo sie biwakieren“. Das Fernsehen ist derweil redlich bemüht, die Wirklichkeit abzubilden. Auch so ein Mythos. Irgendwann interessieren die Bilder nicht mehr. In der Kiste hört man es nur noch mächtig atmen, schnaufen, „Scheiße“, „Weiter“ und „hab Stand“ keuchen. Ebenso könnte man ein 22-stündiges Fußballspiel ankucken.

Ich habe in der Zwischenzeit den Abwasch geschafft, den Mülleimer runtergebracht, mit dem Kindergarten telefoniert, gebügelt und an einer Glosse für die Wahrheit gebosselt. Im Sendezentrum räsonieren sie folgerichtig über „Sinn und Zweck des Bergsteigens“ und erwähnen, dass bei der ersten Besteigung, vor 60 Jahren, das Catering nur aus Butterbroten bestand. Prima Stichwort: 17.30 Uhr, man könnte sich langsam mal ein Bier genehmigen und 'ne Pizza kommen lassen. Michael Rudolf ‚/B‘

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen