■ Das Diepgen des Tages
: Christoph Amend

Das Impressum des Tagesspiegel weist Christoph Amend vage als „Redakteur für besondere Aufgaben“ aus. Für Amend, Anfang 1999 vom neuen Chefredakteur Giovanni di Lorenzo zum Tagesspiegel mitgebracht, ist die Aufgabe aber klar: Mitte 20 sein und Pop! schreiben. Genau das hatte er auch vorher schon gemacht: Amend war Redakteur bei jetzt!, dem Kindersupplement der Süddeutschen Zeitung.

Sein Gesellenstück als Berliner Jungschmock lieferte Amend im August ab – ein Porträt der Schauspielerin Isabella Rossellini: „Das Gesicht ist da. Das heißt, eigentlich läuft natürlich ein Körper durch das Hotelzimmer, der Kopf dreht sich einmal kurz nach rechts und einmal nach links, aber man sieht einfach nur dieses wunderschöne Gesicht. (...) Sie geht ein paar Schritte zum rechten Ende des Sofas, sehr vorsichtig halten ihre Hände das Armani-Kostüm fest, sodass es nicht hochrutscht, während sie sich setzt.“ Der Journalistenpreis ist heiß, brüllt der Einstieg in Isabella Rossellini. Amend legt nach: „Sie sitzt am Ende des Sofas, das Glas Wasser vor sich und wartet auf Fragen. Das heißt: Warten kann man es nicht nennen. Ihr unverbindliches Lächeln verändert sich um keinen Millimeter, und sie sieht einen an, als ob sie sich nichts sehnlicher wünsche, als dass dem Fragesteller keine Fragen einfallen. Und dass wir uns daraufhin einigen würden, dreißig Minuten dazusitzen, der Fragensteller glücklich und stumm.“

Stumm aber bleibt Amend eben nicht, und dass Isabella Rossellini sich beim Absolvieren eines minderen Pressetermins nichts sehnlicher wünschte, als von einem Journalisten angeschwitzt zu werden, darf bezweifelt werden.

Der junge Mann glitscht unterdessen weiter. Wenn nötig, kehrt er auch den kopfwackelnd-bedächtigen Jugendgreis hervor. Anfang September nahm er sich seinen direkten Jungpopschreiberkonkurrenten Benjamin von Stuckrad-Barre vor. Amends langatmige und teilweise predigerhafte Kritik ist ein Selbstporträt: „Getöse“, „schaler Geschmack“ und „viel Lärm um nichts“ werden moniert, „der Blick des Beobachters“, klagt der junge Mann mit dem trüben Blick, „bleibt unscharf“, überhaupt „reicht es nicht“, und dann schreibt Amend tatsächlich noch über das „Glitzern der Medienwelt“ und den jungen Journalisten, „der erst mit und dann in den Medien aufgewachsen ist und sich deshalb perfekt in ihnen bewegt“. Das System der Selbstbespiegelung ist perfekt, der Propagandist ist sein eigener Anhänger.

Alles über diesen Schlag Journalisten steht bei Honoré de Balzac; rückgratlose Figuren, die auch unter dem Teppich zum Chef laufen können und die allenfalls eins mehr interessiert als der eigene Gelderwerb und Status: Gelderwerb und Status der Konkurrenz. Im Zuge der Hauptstadtisierung Berlins kommen sie massenhaft in die Stadt gerast. Leuten, für die Amend ein Beispiel von vielen ist, dabei zuzusehen, wie sie sich im Rattenrennen selbst zu- und zu Grunde richten, bedarf einer hohen Toleranz für Mistkerle von der Stange und einer gewissen Mitleidlosigkeit. Unter dem Mikroskop aber sieht es lustig aus, und je distanzierter man ist, desto größer der Spaß.

Molly Bluhm