Asimetrisches Halbwissen

■ Im Zeichen von Marilyn Mango: Ferris MC zeigt im Knaack, wie hässlich und ganz arg gefährlich HipHop aus Deutschland sein kann

So sehr man deutschen HipHop auch mochte, verehrte, für nötig befand – über all die Jahre blieb er eine überraschend saubere Angelegenheit mit lauter Musterschülern, Muttersöhnchen und Gymnasiasten, die Liebeslieder und Pop-Songs über das ach so schwere Leben in der Provinz sangen. Nun kommt endlich einer von der Sorte, vor der uns unsere Eltern immer eindringlich gewarnt haben: Mister Ferris MC.

Der ist tätowiert und unrasiert, seine notorisch dicke Lippe ziert eine Hasenscharte und auch sonst kann man sein Gesicht nicht gerade ein schönes nennen. Zudem ist er großmäulig, unflätig und bekennender Drogenfresser. Kurzum: Ferris MC ist Schwiegermutters Alptraum – da nützt es auch nichts, dass er sich immerhin die Zähne putzt, wie das in der Spex so stolz dokumentiert wurde.

Ein Eindruck, der sich beim Hören seines Debütalbums „Asimetrie“ nur bestätigt: „Außenseiter“, „Freak“ oder „Asi“ schimpft er sich da, „Fertig MC“ oder „Marylin Mango“. Und im Video zur Single „Im Zeichen des Freaks“ mutiert er zu einer Horrorpuppe, inspiriert von den Chucky-Filmen.

Im Vergleich: Der weiße US-Rapper Eminem, der im wahren Leben netter Mensch und liebevoller Vater ist, benutzt sein Alter Ego Slim Shady dazu, alles und jeden unflätig beschimpfen zu können. Ferris dagegen ist immerzu ganz er selbst und sein höchstpersönlicher Rohrspatz.

Seine eigene Plattenfirma verkauft ihn als „jugendliches Drogenwrack und kleinkriminelles Einzelkind“. Hier feiert Authentizität so fröhlich Wiederkehr, als hätte es all die Theorien von Pop, Camp und Glamour niemals gegeben. Aber schon damals, in der prägenden und nun in allen Raps zu verarbeitenden Kindheit, als Ferris noch Sascha Reimann hieß, wusste er, was er wollte. „Porno- oder Rapstar“ waren seine Berufswünsche, gestand er damals seiner Mama. Die Alternative wäre wohl gewesen, „in der Klappsmühle“ zu landen.

Das ist (noch) nicht passiert, und Karriere beim Pornofilm hat er auch nicht gemacht. Vielleicht weil er zu hässlich war. Stattdessen wurde er als „Reimemonster“ zusammen mit dem schwarzen Schwaben Afrob zum Traumpaar des Jahres (Wer sind denn eigentlich Steffi Graf und André Agassi?).

Auf vielen anderen deutschen HipHop-Platten gibt es immer wieder diese scheinbar unvermeidlichen peinlichen Momente, in denen irgendetwas nicht zusammenpasst. Sei es, weil ein eigener Weg nicht gefunden wird, sei es, weil die Übertragung der US-Klischees nur bedingt einsetzbar ist, sei es in Text oder Musik oder ihrem Verhältnis zueinander.

Solche Aussetzer sucht man auf „Asimetrie“ vergeblich, was das Album zusammen mit „Gefährliches Halbwissen“ von Eins/Zwo zum besten macht, was deutscher HipHop in diesem, seinem bisher größten und erfolgreichsten Jahr, zustande gebracht hat.

Und das, obwohl Ferris' Partner DJ Stylewarz noch nicht einmal vor einer Adaption des Klassik-Gassenhauers „In der Halle des Bergkönigs“ von Edvard Grieg zurückschreckt. Auch das Yazoo-Sample in „Mittelklasse/Oberklasse“ mag zwar den New-Wave-geschulten Mittdreißiger freuen, ist aber allgemein als nicht sonderlich stylish einzuschätzen. Funktioniert aber trotzdem ziemlich gut. Genauso wie die Sache mit der Chucky-Puppe: Die kleinen Kinder sind hochbegeistert.

Thomas Winkler

Mit KC Da Rookie am 12. 11., 22 Uhr, Knaack, Greifswalder Str. 224, Prenzlauer Berg