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Mulis Mühsal  ■   Von Carola Rönneburg

Die Ferien waren vorbei, der Kühlschrank war leer, und draußen war es bitterkalt. Also musste auf einen Streich Nahrung herbeigeschafft werden – von Karstadtbautumamhermannplatz.

Das war keine leichte Aufgabe, denn nach zwei Wochen Ferien hatte Karstadtbautumamhermannplatz schon wieder sehr viel umgebaut. Einige Kaufhauspforten waren plötzlich zugemauert, dafür hatten die Umbauarbeiter an anderen Stellen neue Eingänge in die eingerüstete Fassade geschlagen. Der Schuster war zum zweiten Mal zwangsumgesiedelt worden, diesmal in die Nähe der Gardinen; die Pralinenenklaven vor den Schuhregalen waren verschwunden und die Haushaltswaren auf den Platz der Heimtierabteilung gerückt. Vorläufig, natürlich.

Am Tollsten aber ging es in der Lebensmittelabteilung im Untergeschoss zu. Hier waren zwar die Konservendosen wieder aus den Kühlregalen entfernt worden, aber wo sie sich jetzt befanden, wusste niemand. Und wo man eben noch – wenn auch nach langer Suche – auf die Geflügeltheke gestoßen war, starrte man nun auf eine eilig hochgezogene Ytong-Wand. „Eier, Kaffee, Butter, Milch“, las ich vor, „Möhren, Zitronen, Petersilie, Huhn ...“ Muli sah mich aufmerksam an. „Bier“, ergänzte ich. Muli nickte. Zufällig entdeckten wir die Einkaufswagen, und los ging es: „Bleib dicht bei mir“, sagte ich, „und nicht vergessen: Gehirn ausschalten und der roten Jacke folgen.“ Muli trabte an.

Immerhin: Die Eier fanden wir sofort, und auch den Kaffee konnten wir auftreiben. „Butter“ dauerte etwas länger, und bei „Milch“ war Schluss. „Die war doch hier“, jammerte ich vor dem Marmeladenregal. War sie aber nicht, und auch nicht „da um die Ecke“, wie eine Verkaufskraft behauptete, bzw. „da hinten, seit gestern“, was eine zu Rate gezogene Mitkundin wissen wollte. Muli, von mir um die Ecke und nach da hinten getrieben, begann zu murren. „Schon gut“, besänftige ich ihn, „holen wir die Milch halt woanders.“

Eine halbe Stunde später hatten wir das Bier aufgespürt, und auch der Posten „Gemüse“ landete ohne größere Schwierigkeiten im Wagen, bevor uns das Hinweisschild „Kassen“ auf eine falsche Fährte und vor ein Drehkreuz führte.

Eine Frau und ihr Muli finden aber immer ihren Weg, und so gelangten wir dann doch noch hinter die feindlichen Linien. Muli balancierte die prall gefüllten Satteltaschen aus und strebte ungeduldig heimwärts, als mir noch etwas einfiel. „Nylons.“ Muli bockte. Doch“, sagte ich. „Erdgeschoss, ganz kurz.“

Das war ein Fehler. Denn hier, im Erdgeschoss, kam es zu einem folgenreichen Zwischenfall: Erst ging Muli auf dem Schnäppchenmarkt (vormals: Durchgang zur U-Bahn) verloren – ich fand ihn hinter den Kinderkleidchen wieder –, und dann versuchte Karstadtamhermannplatzbautum während der Ladenöffnungszeiten eine Decke einstürzen zu lassen. Jedenfalls hörte es sich so an. Muli scheute und ging durch. Er stürmte Richtung Ausgang, riss eine Kleinfamilie um, machte vor der Tür kehrt (zugemauert) und galoppierte geradewegs in ein Aktenordnersonderangebot.

Es brauchte viel Bier und Zigaretten daheim, um Muli wieder zu beruhigen. Und beim nächsten Mal möchte er bitte draußen angebunden werden.

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