: Atempause
■ Der werbefreie Lokalfunk kämpft um seine Existenz, Verleger geben Schützenhilfe
Der nichtkommerzielle Lokalfunk (NKL) in Niedersachsen bekommt offiziell erstmals Unterstützung von den Zeitungsverlegern: Ein von den Verlegern bestelltes Gutachten spricht sich ausdrücklich für den „publizistischen Wettbewerb unter den Lokalmedien“ unter Beibehaltung der Werbefreiheit aus. Als Finanzierungsmodell, so das Gutachten, sei auch eine „Teilsubventionierung über die Rundfunkgebühr“ denkbar.
Dass sich die Verleger damit schützend vor den NKL stellen, ist ganz im Sinne der „Interessensgemeinschaft nichtkommerzieller Lokalfunk in Niedersachsen“ (INGEHN). Der „Friede mit den Zeitungsverlegern“, so INGEHN-Sprecher Thomas Muntschick, setze nun die politisch Verantwortlichen unter Zugzwang, sich endlich um eine konkrete Perspektive für den NKL-Regelbetrieb zu bemühen. Das Gutachten, erstellt von der Universität Göttingen, kommt auch gerade passend zur Halbzeit der niedersächsischen NKL-Projekte. Der fünfjahrige Betriebsversuch, der im April 1997 mit dem Programm von StadtRadio Göttingen begann, ist bis 2002 befristet. Spätestens im März 2000 muss dem Niedersächsischen Landtag ein Zwischenbericht vorgelegt werden, der de facto die Weichen für die künftige Existenz der sechs werbefreien NKL-Pilotprojekte stellt. Neben StadtRadio Göttingen senden Radio Jade (Wilhelmshaven), Radio ZuSa (Lüneburg/Uelzen), Radio Flora (Hannover), Radio Aktiv (Hameln) und die Okerwelle (Braunschweig) lokales Programm mit professionellem Anspruch.
Neben dem öffentlich-rechtlichen NDR und den beiden landesweiten Kommerzradios ffn und Hit Radio Antenne soll der nichtkommerzielle Lokalfunk als so genannte „dritte Säule“ Medienvielfalt, lokale Programmschwerpunkte, Nichtkommerzialität und Bürgerbeteiligung im Rundfunk garantieren.
Die NKL-Projekte stehen auch im Mittelpunkt des Bürgermedienkongresses der Landesmedienanstalten, der heute in Hannover beginnt. Die erste Bilanz dürfte dabei zwiespältig ausfallen: Zwar genießen die meisten Programme durchaus einen hohen Bekanntheitsgrad, die tatsächlichen Hörerzahlen liegen aber weit unter denen vergleichbarer kommerzieller Lokalradios in Nordrhein-Westfalen. Finanziell hängen alle sechs Pilotprojekte am Tropf der Niedersächsischen Landesmedienanstalt, die rund 90 Prozent der Betriebsausgaben abdeckt. Die restlichen zehn Prozent müssen durch Eigenleistungen, Spenden und Mitgliedsbeiträge der jeweiligen Vereine bestritten werden.
Bei Maximalförderungen von knapp 580.000 Mark im Jahr und täglichen Sendezeiten von bis zu zwölf Stunden ist die Finanzdecke löchrig: Laut ersten Ergebnissen der Begleitforschung reicht die finanzielle und organisatorische Struktur der Sender gerade einmal aus, die direkte Programmproduktion zu sichern. Zudem wirkten sich die typischen Defizite des Lokaljournalismus – fehlende Recherchezeiten, Personalknappheit und hoher Produktionsdruck – negativ auf auf die NKL-Programme aus. Den NKL-Angeboten fehle außerdem ein eindeutiges Profil, die Existenz von nichtkommerziellem Lokalfunk mache aber nur mit individuellem, unverwechselbarem Senderprofil Sinn. So müsse ein wesentlich stärkerer lokaler Bezug hergestellt und die Programmqualität erheblich verbessert werden. „Wenn nichtkommerzieller Rundfunk keinen deutlichen journalistischen Zusatznutzen zur lokalen Presse bietet, wird er die nötige Hörerakzeptanz nicht erlangen und dann letztlich auch den Nachweis seiner Existenzberechtigung schuldig bleiben“, resümiert das Verleger-Gutachten.
Skeptiker dagegen halten die Vision vom nichtkommerziellen Hörfunk als Bürgermedium zur Schaffung einer Gegenöffentlichkeit ohnehin für überholt: Das Internet biete hier erheblich mehr Chancen, sei kostengünstiger und zudem nicht auf knappe Radiofrequenzen beschränkt.
Steffen Grimberg
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