: Wir haben nicht viele Massengräber gefunden“
■ Paul Risley, Sprecher des UN-Tribunals für Kriegsverbrechen in Den Haag, über Sinn und Zweck, die Probleme und vorläufigen Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchungen im Kosovo
taz: Schon bevor Chefanklägerin Carla Del Ponte dem UN-Sicherheitsrat ihren vorläufigen Bericht vorgelegt hatte, berichteten Mitarbeiter des Tribunals den Medien, die Zahl der albanischen Todesopfer im Kosovo sei geringer als angenommen. Stimmt das mit dem, was Sie im Kosovo vorgefunden haben, überein?
Paul Risley: Unsere Untersuchungsteams sind im Kosovo, um Beweise zu sammeln, die die Aussagen von Augenzeugen dort begangener Verbrechen belegen können – und so dazu führen, dass die angeklagten Personen dieser Verbrechen überführt werden können. Es ist nicht unsere Aufgabe zu untersuchen, wie viele Menschen während des Kosovo-Kriegs insgesamt getötet wurden. Obwohl wir natürlich hoffen, denjenigen, die versuchen, die Zahl der Opfer zu bestimmen, mit unseren Untersuchungen helfen zu können.
An wie vielen Orten, wo sie auf Grund von Zeugenaussagen kosovo-albanischer Flüchtlinge Massengräber vermutet haben, sind Sie tatsächlich fündig geworden?
Im Kosovo habe wir nicht viele Massengräber gefunden. Die meisten Gräber sind individuelle Gräber, wo Einzelpersonen, die ermordet wurden, von Polizei- oder Militärkräften, von lokalen Totengräbern oder von Dorfbewohnern bestattet wurden, nachdem Polizei- oder Militärkräfte das Gebiet verlassen hatten. Wir haben über 500 verschiedene Orte gefunden, wo individuelle und, in einigen Fällen, auch Massengräber gefunden wurden.
Wie stehen Sie zu der Kritik der spanischen Pathologen Emilio Perez Pujol und Juan Lopez Palafox, die im Auftrag des Kriegsverbrechertribunals im Kosovo Untersuchungen durchgeführt haben und die Opferzahlen für zu hoch angesetzt halten?
Die Namen sind uns ein Rätsel. Wir wissen von einem Herrn Pujol, der Mitglied des spanischen Teams war, aber den anderen Namen kenne ich nicht. Ermittler aus 14 verschiedenen Ländern haben zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten in ganz Kosovo für das Tribunal gearbeitet. Zudem haben viele Länder ihre Teams nach einigen Wochen ausgewechselt.
Herr Pujols Kommentare sind also nur die einer Person aus einem, dem spanischen, Team, und viel von seiner Kritik waren ja auch Beschwerden über seine Arbeit, dass er nicht so viele Tote fand, wie er wollte, dass er nicht die Arbeit tat, die er zu tun erhofft hatte. Ich kann Ihnen nur sagen: Jedes Team hat seine eigenen, spezifischen Erfahrungen gemacht. Ich denke, dass das nur die Ermittler des Tribunals könnten, weil jedes einzelne Team nur einer Region aktiv war. Es tut uns leid, dass ein Mitglied des spanischen Teams so offensichtlich unzufrieden mit der Zusammenarbeit mit dem Tribunal war – aber ich kann trotzdem nur wiederholen, dass jedes Team nur seine Arbeit gemacht hat.
Wie steht es mit dem Bericht des Stratfor-Instituts? Hat diese Einrichtung mit dem Tribunal zusammengearbeitet?
Es gibt kein Stratfor-Institut. Stratfor ist meines Wissens nichts weiter als eine Website, die ein paar Leute machen, die in Austin leben. Im September rief mich fünf- oder sechsmal eine sehr unerfahrene Reporterin an, die sagte, sie arbeite für Stratfor, und ich habe ihre Fragen gerne beantwortet. Aber etwas anderes, als mit mir zu reden und vielleicht ein paar Medien zu analysieren, macht Stratfor nicht.
Ich glaube, so etwas wie Stratfor gibt es gar nicht. Es gibt nur ein paar Leute mit einer Adresse im Internet, die daran interessiert sind, Schlagzeilen zu machen. Die Mitarbeiter von Stratfor sind alles andere als Fachleute, und sie haben mit Sicherheit keinen Zugang zu irgendwelchen Daten des Tribunals gehabt und meines Wissens auch nicht zu anderen Quellen.
Interview: Rüdiger Rossig
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