Der Beamte, der ein Politiker sein muss

Eckart Werthebach (CDU) befindet sich als Innensenator voll im rechten Trend. Nur dass dem Hardliner im ersten Jahr seiner Amtszeit eine peinliche Serie von Pannen unterlaufen ist. Dennoch gilt er bei den laufenden Berliner Koalitionsverhandlungen wieder als gesetzt  ■   Von Philipp Gessler

Bei uns läuft Werthebach als Nullnummer“, heißt es bei der Polizei. „Über den reden wir nicht mehr.“

Seinen 59. Geburtstag dürfte sich Eckart Werthebach anders vorgestellt haben: morgens so schnell wie möglich zum Dienst. Mittags Krisensitzung. Und abends, statt ein Gläschen auf das neue Lebensjahr zu heben – der Rückblick auf einen schrecklichen Tag: Am 17. Februar erschossen zwei israelische Sicherheitsmänner drei protestierende Kurden, verletzten 12 schwer. Einer von ihnen starb. Der vierte Tote.

Dass Werthebach ausgerechnet seinen Geburtstag nicht angenehmer verbringen konnte, war auch seine Schuld: Er ist Berliner Innensenator, er ist für die Innere Sicherheit verantwortlich. Trotz zahlreicher Hinweise hatte er nicht dafür gesorgt, dass das israelische Generalkonsulat durch mehr als die üblichen drei Wachpolizisten geschützt wurde. Die anstürmenden Kurden hatten sich auch deshalb die israelische Vertretung für ihren Protest gegen die Verhaftung ihres Führers Abdullah Öcalan ausgesucht. Ein Waterloo für jeden Innenminister. Erst recht für ihn, den Hardliner, der ein typischer Vertreter einer Zeit ist, in der rechte Innenpolitik Konjunktur zu haben scheint.

Seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr versucht er sich bundesweit am rechten Rand zu profilieren und in Konkurrenz zur harten Linie der unionsgeführten südlichen Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen zu treten. Dabei sticht er gelegentlich sogar seinen Münchener Kollegen Günther Beckstein (CSU) aus. Wie dieser forderte er eine schnelle Abschiebung der schon seit längerem in Deutschland lebenden Kosovo-Albaner. Anders als Beckstein wollte er ihnen aber noch nicht einmal erlauben, hier zu arbeiten – um den Druck zur Rückkehr zu erhöhen.

Besonders gnadenlos tritt Werthebach immer dann auf, wenn es um die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern oder Bürgerkriegsflüchtlingen geht. Übertroffen wurde er in jüngster Zeit bloß von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der durch seine Äußerungen den Eindruck erweckte, das Asylrecht weiter einschränken zu wollen. Auch in anderen Bereichen hat sich Werthebach als Hardliner profiliert. Experten beurteilen das von ihm verabschiedete Polizeigesetz als das polizeifreundlichste in Deutschland. Nirgendwo sonst habe die Polizei so viel Macht.

So sehr sich Werthebach auch bundesweit als Strammer Max beweisen will, in seinem eigenen Land hat er versagt: Nach einem Schlagstock-Einsatz der Polizei gegen Journalisten bei den traditionellen 1.-Mai-Demos in der Hauptstadt verschleppte er die Aufklärung der Affäre. Die Verwaltung und die Berliner Abgeordneten brüskierte er durch den so genannten Maulkorb-Erlass. Beamten wurde verboten, den Volksvertretern im Abgeordnetenhaus ohne seine Erlaubnis Auskünfte zu geben. Die Verwaltung, heißt es, sei völlig frustriert. Werthebach habe „Misstrauen und Verunsicherung“ verursacht. „Die Mitarbeiter haben Angst vor ihm.“

Viele Abgeordnete lasten ihm an, dass er dem Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Blutbads am israelischen Generalkonsulat offenbar nur solche Akten freigab, die ihm in den Kram passten. Sein Geheimdienstchef vernichtete einen Aktenvermerk, der Werthebachs Versagen in der Sicherheitsvorsorge vor dem Blutbad belegte – die so genannte Reißwolf-Affäre.

Nicht vergessen hat die Polizei, wie schnell er die Verantwortung für den minimalen Schutz für das Konsulat bei seinen Untergebenen suchte: „Bei uns läuft er als Nullnummer“, heißt es seitdem in Polizeikreisen. „Wir reden über den nicht mehr.“

Besonders verübelt wird Werthebach, dass er nicht für mehr Stellen sorgt, obwohl die Beanspruchung der Polizisten permanent zugenommen hat: Innerhalb eines Jahres ist die Zahl der Überstunden auf 1,4 Millionen angestiegen: eine Steigerung gegenüber 1998 um 600.000 Stunden. Ein Polizist fasst zusammen: Die Stimmung sei „eine Katastrophe“.

Seine Polizisten frustriert, seine Verwaltungsbeamten verängstigt, die Politikerkollegen verärgert und die Presse brüskiert ... diese Bilanz hatte niemand erwartet, als Werthebach vor gut einem Jahr nach Berlin kam: Denn bis dahin hatte er als Spitzenbeamter in Bonn, Bundesverfassungsschutz-Präsident und Staatssekretär im Innenministerium reüssiert.

Zwar gab es die so genannte Fuchs-Weichert-Affäre, bei der Verfassungsschutz-Chef Werthebach einer brandenburgischen FDP-Politikerin Akten seines Amtes über einen Grünen-Politiker überließ, um dessen Bewerbung als Potsdamer Datenschutzbeauftragter zu hintertreiben. Zwar forderte er eine Amnestie für bestimmte Agentenführer und Spione der Stasi. Dennoch: Grobe Fehler hatte sich Werthebach in seiner Bonner Zeit kaum geleistet.

Der Innenexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Willfried Penner, der Werthebach aus langjähriger Erfahrung kennt, beschreibt ihn als „einen Mann, der keine Unwägbarkeiten und Gefährdungen“ eingeht: Wichtiges habe er immer schriftlich vorbereitet, um ja der freien Rede zu entgehen und um Belege für das Gesagte zu haben. Als „Ziehkind des Bundesinnenministeriums“, wie sich Werthebach selbst einmal beschrieben hat, sei er von dem Gruppenbewusstsein und dem Kastendenken der Spitzenbeamten geprägt. Wie viele Beamte neige er dazu, die Verfassung aus der Sicht der Exekutive zu interpretieren, nach dem Motto: Die Innere Sicherheit ist eine Konsequenz von Ordnungsgesetzen. Wenn es um die Ordnung schlecht stehe, liege das an fehlenden Gesetzen.

Dies ist auch der Grund dafür, dass Werthebach als Landespolitiker entweder zu Überreaktion oder zu Gesichtslosigkeit neigt: Ihm fehlt das Maß. Ein Berliner Rechtspolitiker meint: Er sei eben „kein Politiker in dem Sinne“. Er agiere phantasielos und könne keine eigenen Akzente setzen, da er ein Beamter geblieben sei. Sein unselbstständig-unkreatives Schlingern bei der Kurdenkrise stützt diese Einschätzung.

Auch der Berliner SPD-Innenexperte Hans-Georg Lorenz hält Werthebach für „nicht sehr politisch“. Sein Beamtencharakter, der in Sachen Zuverlässigkeit und Korrektheit eine Stärke sei, bedeute andererseits eine Schwäche. Bei seiner Vernehmung im Kurden-Untersuchungsausschuss habe er gewirkt wie ein Referent vor seinem Minister: „Der las das richtig vor.“ Typisch für Werthebach, dass er ein großer Kanther-Verehrer ist und sogar Redewendungen wie „mein Minister hat immer gesagt ...“ verwendet.

Eine gewisse Tragik liegt in der Tatsache, dass ein Mann der zweiten Reihe wie Werthebach nun in vorderster Front stehen will und dabei fast zwangsläufig ohne Fortune agiert. Er sei eben „kein politisches Vollblut“, meint Penner, bloß ein erfahrener Repräsentant der Exekutive. Renate Künast, die Fraktionsvorsitzende der Berliner Bündnisgrünen, die auch als mögliche Bundesvorsitzende gehandelt wird, wirft Werthebach vor, er sei aus der Rolle des Beamten nie rausgekommen.

Das beschränkt seine bundespolitische Rolle. Doch vielleicht liegt gerade darin das Geheimnis seines Erfolgs: Nach Werthebachs Vorgänger Jörg Schönbohm, der als ein potenzieller Nachfolger des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) gehandelt wurde, schätzt ihn der „Regierende“ dafür, dass er bedingungslos loyal ist und keine politischen Ambitionen zu haben scheint.

Das war ein Hauptgrund dafür, dass Werthebach trotz der dicken Hunde, die er sich in wenigen Monaten geleistet hatte, bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD gesetzt war. Werthebach und Diepgen fühlten sich als Plisch und Plumm. „Der Diepgen ist ja auch so ein Aktenfuchser“, heißt es.

Gibt es denn gar nichts Positives über Werthebach zu sagen? Ein Innenexperte, der ihn aus Bonner Zeiten kennt, meint, Werthebach habe in Bonn stets „sehr verbindlich und freundlich“ agiert. „Sehr gentil“ habe er „den braun gebrannten Strahlemann“ gemimt. Penner lobt ihn als „außerordentlich tüchtigen Beamten“, der ein „sehr beachtliches rationales Vermögen“ habe und ihm gegenüber stets korrekt, fair und kompetent aufgetreten sei.

Selbst Werthebachs politischen Gegner betonen zumeist, dass er zwar oft unnahbar, aber durchaus nicht unsympathisch sei. Renate Künast attestiert Werthebach Freundlichkeit – aber die, sagt sie, wirke nur im ersten Augenblick. In Wirklichkeit sei er bloß eines: „kalt“.

Lobend heißt es von allen Seiten, Werthebach sei berechenbar. Man wisse bei ihm stets, wen man sich vor sich habe – einen Konservativen durch und durch. Bei manchen schwingt in dieser Hinsicht sogar Bewunderung mit. Hans-Georg Lorenz: „Der wirft noch nachts im Kohlenkeller einen Schatten.“